Mit der Aufheizung des Klimas geschieht zugleich eine Abkühlung des politischen und sozialen Klimas. Diese Beobachtung liegt nah. Die Erkenntnis, dass der Schlüssel, das Leben zu ändern, in einem Bewusstseinswandel liegt, führt weiter zur Innenseite dieser großen Frage des 21. Jahrhunderts. Stefan Ruf hat dazu ein Buch geschrieben, das aufrührt – weil es berührt.
Es ist auf mehreren Ebenen ein Glück, dass Stefan Ruf aus seiner Profession als anthroposophischer Psychotherapeut sich der Frage der Bewältigung der Klimakrise zuwendet. Auf keiner der 270 Seiten ist von ‹Schuld› die Rede, vielmehr lädt er dazu ein, als menschliche Gemeinschaft, als Einzelner und Einzelne in einen Wandel, in eine Heilung einzusteigen. Uns gehe es ein wenig wie dem Partygast, der ohne Gesprächspartner allein dasteht und sich deshalb, obwohl er eigentlich mit allem versorgt ist, allein und hilflos vorkommt. So zeichnet er uns heutige Menschen und wählt ein eindrückliches Foto dazu: Ein Mann und eine Frau in Businessanzügen mit Sonnenbrille und Trolley verlassen vor stahlblauem Himmel einen weißen Learjet. Stolz, mächtig, einsam und leer. So gehe es diesen modernen Menschen. Das Flugzeug und der keimfreie Himmel: eine Umgebung, in der man keinen Gott sucht und finden kann. Sowohl nach außen als auch nach innen habe man dabei die Beziehung verloren, sei frei und sogar solidarisch geworden, aber das zu einem hohen Preis. Als Wegscheide in diese Entfremdung erkennt Stefan Ruf die kopernikanische Wende. Sie sei viel mehr als nur eine wissenschaftliche Revolution. Diese astronomische Erkenntnis sei in den darauffolgenden zwei Jahrhunderten in alle Bereiche des Lebens eingesickert, habe dem christlichen Mythos seinen Boden entzogen und uns Menschen mit dieser ‹Sphärendämmerung› atmosphärisch heimatlos werden lassen. So handgreiflich habe ich den Zusammenhang von Planetenwelt und Seelenwelt selten beschrieben gefunden. Diesem äußeren Beziehungsverlust entspricht auch innerlich eine Abnabelung, zum Kern der Persönlichkeit. «Die Atmosphäre reißt, der Mensch verkapselt sich», titelt Ruf ein Kapitel.
Es gehört zur Paradoxie des Buches, dass Stefan Ruf Mut macht, indem er beschreibt, dass die Aufgabe schwieriger sei, als man annimmt. Schwieriger deshalb, weil es nicht darum gehe, das Verhalten zu ändern, sondern vielmehr darum, wahrnehmen zu lernen, wann man Grenzen überschreitet, empfinden zu lernen, welche Paradigmen und Schemata in der Seele wirksam sind. Er nennt sie nicht ‹falsch›, sondern zeigt, dass die Seele dabei unglücklich und sich selbst fremd geworden ist. Das erinnert mich an den Vortrag eines Imkers vor einigen Jahren an der Jahrestagung der Landwirtschaftlichen Sektion. Es ging um das gegenwärtige Bienensterben und er rief zu den 600 Versammelten im Saal: «Nicht wir müssen die Bienen retten, nein, die Bienen werden uns retten, weil sie uns zeigen, wie beziehungslos wir geworden sind!» Es sei so schwer, weil, so Ruf, wir uns in den letzten Jahrhunderten eine technische Welt geschaffen haben, die so reibungsfrei laufe, dass alles mit der Innenwelt übereinstimme, dass es der Seele schwerfällt, hier einen Widerspruch zu empfinden, an dem sie aufwachen kann. Die Aufgabe des Klimawandels ist deshalb groß, weil es um die Verwandlung der Seele geht. So wie mit der Renaissance im 15. Jahrhundert noch einmal die antike Sphären- und Götterlehre auferstand und der Seele so am Fuß der Neuzeit noch einmal die Umräume in Erinnerung rief, gehe es auch jetzt um eine neue Eroberung der Sphären, der Atmosphären. Angst vor Unsicherheit und der Unwille, Bequemlichkeit aufzugeben, seien dabei die Hürden. Sie überwinde man, wenn man auf drei Lebenskreisen nun ‹Beziehungsarbeit› macht.
Um folgende drei Lebenskreise gehe es dabei: die Sphäre zum eigenen Ich, die zum familiären und beruflichen Umfeld und die zur Menschheit, zur Natur. Achtsamkeit, Empathie, Herzdenken, integrales Denken – es gibt heute nicht wenige Worte, die auf diesen Weg zeigen. Atmosphärisches Bewusstsein nennt es Stefan Ruf. Dabei lohne es sich, die Widersprüche aufzusuchen, das Plastik am Urlaubsstrand, die Ungerechtigkeit vor der Haustüre – um an dieser Dissonanz die bis ins Leibliche verankerten Gefühlsprägungen der Paradigmen der Moderne aufzulösen.
Nach einem längeren Weg, der im Buch bis in die Urgeschichte zurückführt, zeigt Ruf nochmals das Bild vom Flughafen mit weißem Jet, blauem Himmel und dem so aufrecht gehenden Geschäftspaar und stellt dem ein anderes Duo gegenüber: zwei Menschen, die kniend einen jungen Baum in die Erde setzen. Es ist vielleicht ein Klischee, aber dafür ein einprägsames Bild, wie auf drei Ebenen das ‹Schema der Moderne› diese Imprägnierung der Seele wandelt: Gedanklich wird aus der Befreiung von Gott und der Natur aus dem Erlebnis einer unbelebten Natur und dem Wunsch nach Expansion Verbundenheit und die Erfahrung von Leben; emotional wird aus dem Stolz, der Einsamkeit und der unruhigen Leere Berührung und Resonanz; haltungsmäßig wird aus dem aufrechten Gang, abgekapselt und aktionsbereit, nun die entspannte Aufrechte und Offenheit für den Umkreis.
Ich habe das Buch an einem langen Abend gelesen und denke, dass es dazu einlädt und aufruft, es mit seinen elf Kapiteln hin zu einem ökologischen, einem atmosphärischen Bewusstsein wie eine Folge von elf Sitzungen zu behandeln. Wenn man bald damit beginnt, dann ist man bei wöchentlichem Turnus rechtzeitig im Mai fertig, dann, wenn alle Natur duftet und blüht.
Buch Stefan Ruf, ‹Klimapsychologie›, Info3 Verlag, Frankfurt 2019
Bild Wirbelsturm über Borneo, Raumstation ISS