Überheblichkeit, Angst und Zweifel erschweren die Zusammenarbeit. Philipp Busche, Agnes Zehnter und Ursi Soldner zeigen therapeutische Perspektiven, wie sie mit diesen Widerständen arbeiten und sie verwandeln.
Überheblichkeit und Demut in der Medizin
Überheblichkeit bedeutet: Jemand erhebt sich über andere, was auf der Beziehungsebene den anderen naturgemäß stört. Die Überheblichkeit steigert sich zum Narzissmus. Dazu gehört, dass Sozialfähigkeit, Konfliktfähigkeit und Empathie abnehmen. Im Extrem zeigt sich deutlich, dass unser Ich dadurch an Kompetenz verliert. Wir zeigen uns nicht so, wie wir sind. Wir zeigen uns verzerrt und bekommen ein «verzerrtes Angesicht», wie es bei Rudolf Steiner im Kontext der Klassenstunden heißt. Das Schwierige im Sozialen ist, dass Überheblichkeit stark auf das Gefühl der Mitmenschen wirkt. Sich über jemanden zu erheben bedeutet, dass man den anderen nicht so zu sehen vermag, wie er ist, nicht mehr zuhört, geschweige denn ihn zu erkennen vermag. Eine gesunde Form von Begegnung erfordert von uns aber, dass wir einen Raum öffnen, für das, was an dem anderen Menschen einzigartig ist. Dass wir uns auf das Unbekannte einlassen, das uns als geistiges Wesen von jedem anderen entgegenkommt. Drei Motive sind in diesem Zusammenhang wichtig. Zum einen die Demut, wie Rudolf Steiner es in ‹Wie erlangt man Erkenntnisse der hören Welten› als Pfad der Verehrung formuliert. Demut nicht gegenüber Menschen, sondern gegenüber der Wahrheit und dem Geistigen. Sie öffnet für das Substanzielle mit der Nebenwirkung, dass die eigene Seele dabei kräftiger wird. Zweitens: die Liebe. Sie verbindet und öffnet auch da, wo Spott und Überheblichkeit herrschen. Schließlich die gemeinsame Idee, die über den Zusammenhalt eines Teams entscheidet. Das ist die gesunde Seite von Überheblichkeit, denn hier erheben wir uns gemeinsam über uns selbst. Wenn wir uns nur horizontal anschauen, dann sind wir zu viel mit uns selbst beschäftigt. Wenn wir es schaffen, gemeinsam den Blick zu heben auf das, was unser Ideal ist, auf das, was unser Stern ist, dann erzeugt dieses Ideal Begeisterung und Wärme, die im Sozialen zusammenführen. Das Erstaunliche ist, dass dann all die Unzulänglichkeiten, die jeder von uns hat, kleiner und unbedeutender werden.
Philipp Busche
Sagen Sie ‹Angst›
‹Sagen Sie doch bitte mal alle Angst.› Die Teilnehmenden gehen der Aufforderung nach und es raunt ein angsterfülltes Gemurmel durch den Saal. Die Werkzeuge Hunderter Sprachorganismen schmecken, formen und gestalten den Lautklang ‹Angst›. «In der deutschen Sprache beginnen wir das Wort Angst mit dem offenen Vokal A. Offener kann man nicht sein, wie ein kleines, staunendes Kind. Dann folgt eine Kraft, die uns schier die Kehle zuschnürt: ‹ngst›.» Eine Schilderung, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt jeder im Saal nachempfinden kann. Das ‹ngst› schwebt noch in der Luft, während Agnes Zehnter das Spektrum des Wörtchens Angst weiter ausbreitet. «Ich kann jemanden in Angst und Schrecken versetzen, aber ich kann ihm/ihr auch Angst einjagen. Das ist ziemlich fies, da sind wir bei der Jagd. Ich sterbe vor Angst, sagt man so oft und stirbt dann doch nicht. Das ist typisch deutsch. Es mit der Angst zu tun kriegen. Da haben wir das Kriegen drin, auch ein sehr unschönes deutsches Wort. Aber man kann auch Angst schüren und Angst einflößen. Eine Wortart, die mir im Moment besonders Spaß macht, sind die Präpositionen. Das sind diese kleinen Wörtchen, die gerne unter den Tisch fallen, aber die wichtig sind und fast die Wirkung eines Verbs haben. Da haben wir ‹Angst haben vor …›. Da merkt man schon, was schiefgegangen ist: Ich mache mir eine Vorstellung. Baue also für die Zukunft etwas auf und lebe nicht im Jetzt. Was wir im Deutschen auch benutzen: ‹Ich habe Angst um …›. Da wird es privat und intim. Rudolf Steiner benutzt interessanterweise im esoterischen Bereich selten das Wort ‹Angst›, sondern viel öfter das Wort ‹Furcht›. Der Vokal U ist tiefer, er geht bis in die Knochen. Er spricht dort im esoterischen Zusammenhang davon, dass wir da ein Wesen in uns selbst pflegen und unbewusst gebildet haben, das krumm, knochenhaft und dürr ist. Das passt für mich gut zu dem, was ich charakterisiert habe: Wie geht es einem, wenn man sich zurückzieht und den Zusammenhang mit den Mitmenschen und mit der geistigen Welt verliert? Nackt, einsam und dürr. Wir kennen das Gefühl von Angst, Sorge oder Respekt in der beruflichen Zusammenarbeit. Die Aufgabe ist es, in solchen Momenten zu erkennen, dass man nicht allein ist. Wir haben einander und wenn wir das pflegen, uns positiv hinterfragen und miteinander auf diese Ängste schauen, dann können wir sie in Bewegung bringen, dann können wir über sie wachsen.
Agnes Zehnter
Der Zweifel
Früher Sünde, heute Ursprung der Erkenntnis.
Wenn er, der Zweifel, zu Besuch ist, hinterlässt er Unruhe; ist ein übler Gast. Es überrascht nicht, dass das Wort Zweifel etymologisch so viel heißt wie «Ungewissheit, Bedenken», was dem Wort eine problematische Bedeutung gibt. Früher galt der Zweifel als Sünde, und dieses Übel sollte gar nicht erst aufkommen, weil man Angst hatte, es könnte daraus Verzweiflung entstehen. Später wurde sein schlechter Ruf rehabilitiert und heute sagt man, Zweifel seien Voraussetzungen für einen Erkenntnisfortschritt. Zweifel ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Er kann uns vor zu schnellem Handeln, vor voreiligen Entscheidungen bewahren und verhindert manchen Fehler. Zweifel, wenn er über uns kommt, hindert uns am Leben, nimmt den Atem. Wir alle haben den Zweifel kennengelernt in den Monaten mit Corona. In der Zeitschrift ‹Die Zeit› gab es kürzlich unter dem Titel ‹Glauben und Zweifeln› einen Artikel, aus dem ich gerne zitieren möchte. Es wurde von dreißig Priestern aus Italien berichtet, die am Anfang der Pandemie gestorben sind, weil sie Kontakt zu Corona-Patienten hatten. Ein junger Arzt berichtet von einem 75-jährigen Priester, der mit erheblichen Atemproblemen ins Krankenhaus kam, eine Bibel unter dem Arm trug und seinen Mitpatienten vorlas. «Bis vor zwei Wochen waren meine Kollegen und ich Atheisten. Es war völlig normal, dass wir es waren, die Wissenschaft schloss für mich die Existenz Gottes aus. […] Jetzt aber müssen wir es zugeben: Wir Menschen sind an unsere Grenzen gekommen. Wir sind erschöpft, […] wir müssen erkennen, dass wir Gott brauchen. Wir bitten ihn nun um Hilfe, wenn wir ein paar freie Minuten haben. […] [Der Priester hat es] geschafft, uns einen Frieden zu bringen, den wir nicht mehr zu finden hofften.» Zweifeln ist menschlich, aber um den Zweifel zu überwinden, brauchen wir die Anbindung an etwas Höheres. Es geht um nichts weniger als um die Suche nach Wahrheit. Rudolf Steiners Worte mögen uns ermutigen, dass wir, wo immer wir gefordert werden, die Kraft dazu aufbringen können, wenn er sinngemäß sagt, in jeder Religion können wir zur Wahrheit finden. Und wenn wir die Wahrheit gefunden haben, dann wird es die große Vereinigung geben. Wir alle können also die Wahrheit finden. Der Zweifel ist ein unangenehmer Geselle, solange die Wahrheit nicht ans Licht darf. Er wird uns quälen, es wird uns nichts geschenkt. Welchem Geist wollen wir dienen? Glauben wir doch an uns. An unsere Visionen, an unsere Ideale, an die Werte, für die wir hergekommen sind. Nur so werden wir dem Herausforderer Zweifel gegenübertreten können. Vielleicht wird er es uns danken.
Ich bin ja schon mehr so im Zweifel für den Zweifel.
Gerade für Mediziner*innen schon auch wichtig.