Wie vermeiden wir einen langen Corona-Verlauf?

Gespräch mit Georg Soldner zu seinen Erfahrungen mit langdauernden Schwächezuständen nach Covid und Pfeifferschem Drüsenfieber. Die Fragen stellte Wolfgang Held.


Georg Soldner

Wo stehen wir jetzt mit der Corona-Erkrankung?

Die Schwere der Erkrankung ist jetzt vergleichbar mit anderen Viruserkrankungen, wobei Corona-Virusinfektionen – und auch Corona-Impfungen – das Risiko haben, dass man für lange Zeit geschwächt sein kann. Das kennen wir auch von einigen anderen Viren. Am bekanntesten ist das Pfeiffersche Drüsenfieber, die Mononukleose, das Epstein-Barr-Virus. Es gibt Viren, die diese Eigenschaft haben, lang dauernde Schwächungszustände, ein Long-Virus-Syndrom auslösen zu können, wobei das eigene Verhalten solch einen langanhaltenden Krankheitsverlauf begünstigen kann. Es lohnt sich, zu fragen, wie man sich verhalten sollte, um bei einer Corona-Erkrankung die Wahrscheinlichkeit eines langen Verlaufs zu verringern.

Es ist kein Zufall, ob man Long-Covid-Symptome zeigt?

Es gibt bei Erkrankungen immer eine Vielzahl von Faktoren. Nun bin ich seit 35 Jahren mit Langzeitfolgen bei Viruserkrankungen beschäftigt und glaube, das Muster beschreiben zu können, das auch eine langdauernde Corona-Krankheit begünstigt. Corona scheint mir eine Krankheit zu sein, an der wir lernen können, ein respektvolles Verhältnis zu der Erkrankung einzunehmen. Als Erstes ist es wichtig, die Symptome wahrzunehmen: Halsschmerzen, Erschöpfung, Müdigkeitsgefühl, und dann – auch mithilfe der Diagnostik – die Krankheit festzustellen. Wenn es jetzt ein Epstein-Barr- oder ein Corona-Virus ist, sollte ich sofort meine alltägliche Arbeit unterbrechen und nicht noch diese oder jene Verpflichtung erfüllen. Es geht darum, die Krankheit nicht wegzudrücken, sondern sich auf sie einzulassen und sich von allen üblichen beruflichen und sozialen Verpflichtungen zu lösen. Ruhe ist das Wichtigste! Denn diese Long-Virus-Syndrome befallen überdurchschnittlich oft Menschen mit einer hohen Leistungsbereitschaft, die überaktiv sind: z. B. Leistungssportler, Menschen mit hoher beruflicher Ambition und Pflichtgefühl. Als Arzt weiß ich: Das ist die Hochrisikogruppe. Die Krankheit befragt diese Leistungsmoral: «Solange ich noch gehen kann, arbeite ich noch weiter. Ich bin selbständig und muss den Auftrag fertig machen etc. …» Dieses ‹Über-Ich› muss man hier überwinden und sich sagen können: «Jetzt aber bin ich krank und muss das respektieren – so, wie ich mit einem gebrochenen Bein nicht gehen kann.» Das zweite ist, ich sollte mir von Anfang an einen Zeitraum setzen, in dem ich meine Tätigkeiten ruhen lasse. Im Allgemeinen empfehle ich jetzt bei Corona sieben bis zehn Tage, beim Epstein-Barr-Virus vier Wochen.

Also nicht bei Genesungsanzeichen wieder auf dem Deck erscheinen?

Es ist wichtig, dass der eigene Leib von Anfang an diese Zusage erhält und man nicht von Tag zu Tag wartet, wann kann ich endlich wieder. Dass ich mir selbst diese arbeitsfreie Zeit verspreche. So hab ich’s auch selbst gemacht bei meinen beiden Corona-Erkrankungen. Nach zehn Tagen war ich fitter als vorher. Der springende Punkt ist aber, dass ich am ersten Tag sage: «Ich bin zehn Tage weg!» und es nicht täglich neu bewerte. Unser Organismus arbeitet aus der Erwartung. Was ich erwarte, hat starken Einfluss auf meine Gesundungsprozesse. Wenn ich von zehn Tagen Ruhe weiß, dann kann ich in die Tiefe gehen. Dann können sich die Heilungsprozesse entfalten.

Das klingt ungewohnt.

Ja. Es ist unüblich, auch unter Ärzten. Das Zweite ist, dass wir sehr zurückhaltend sein sollten mit der schulmedizinischen Unterdrückung von Schmerz und Fieber. Ibuprofen, Paracetamol haben in der Therapie dieser Erkrankung nichts zu suchen. Eine Schmerzbehandlung mit naturbasierten Arzneimitteln ist möglich, aber diese Fiebersenker und schmerzunterdrückenden Mittel führen dazu, dass die Akutreaktion des Organismus behindert wird, die ja wie bei einem Pendelschlag wiederum eine nächtliche Erholungsphase des Organismus auslöst. Wenn ich am Tage, um einen drastischen Vergleich zu wählen, mich betrinke, dann wird die Nacht auch nicht im Sinne einer gesunden Erholung verlaufen und ich erwache mit einem Kater. Ich würde bei starken Schmerzen einem Patienten ein Schmerzmittel nicht verweigern. Aber wenn wir kräftig z. B. mit Arnica und gegebenenfalls äußeren Anwendungen behandeln und mit erhöhtem Oberkörper ruhen, kommen wir bei Covid oder Pfeifferschem Drüsenfieber fast immer ohne Schmerzmittel aus.

Was kann man sonst tun?

Das Dritte ist, dass wir die Aufbauprozesse pflegen. Was mache ich, wenn die akuten Beschwerden vorbei sind und ich noch Ruhe geben soll? «Jede Krankheit ist eine Sprechstunde mit dem lieben Gott». sagt Michaela Glöckler. Ja, eine Gelegenheit, sich zu orientieren. Wie stehe ich zu meiner Biografie? Ich habe beobachtet, dass viele, die von Long-Virus-Symptomen heimgesucht werden, sich Leistungsziele gesetzt haben, die über dem liegen, was sie erreichen können. Sie sind kaum mit sich zufrieden. Man könnte sagen, das betrifft jeden, aber ganz so ist es nicht. So kann es hilfreich sein, das eigene innere Verhältnis zu meinen Eltern als Autoritäten zu klären. Sind meine Ziele wirklich ‹meine› Ziele? Was habe ich als Identifikation übernommen, obwohl es nicht zu meiner Identität zugehört? Es geht um die Ablösung von übernommenen Leistungsidealen. Eine schon ältere Patientin mit schwerem Pfeifferschem Drüsenfieber sagte einmal zu mir: «Ich hatte zwei stärkere Brüder und einen Vater, für den nur die Männer zählten. Ich musste immer besser sein sie.» Eine klassische Geschichte. Diese Frau konnte in ihrer Krankheit ganz neu zu sich finden.

Sind diese Erkrankungen eine Chance, aus diesem Leistungskorsett herauszukommen?

Ja, dazu muss ich mich hemmen und das ist die höchste Tätigkeit des Ichs. In jeder Meditation hemme ich den normalen Fortgang des Tages zugunsten meiner inneren geistigen Aktivität. Interessant, dass Covid jetzt auftritt, wo wir immer schneller und effektiver zu werden haben. Über die richtige Haltung zur Krankheit, was wir daran lernen können, ist zu wenig nachgedacht und aufgeklärt worden.

Das Wort ‹Klinik› hat ja den griechischen Ursprung ‹klínein›, sich neigen, sich beugen.

Ganz richtig. Eine typische Geschichte: Ein 61-jähriger Patient, der Covid hatte und mir sagte, dass er jetzt noch zwei Tage arbeiten muss – ich riet ihm dringend davon ab –  hatte danach noch drei Monate lang Beschwerden. Seine Frau, die sich an die hier dargestellten Regeln hielt, war nach zehn Tagen wieder fit.  Das sind Dinge, über die wir aufklären müssen. Es ist ein neuer Erreger in die Welt gekommen, der die Eigenschaft hat, chronische Funktionsstörungen auszulösen, wenn wir ihm in unserem Verhalten nicht Rechnung tragen. Natürlich spielt die körperliche Disposition auch eine Rolle, aber das eigene Verhalten sollten wir nicht unterschätzen. Zugleich sind wir bei diesen Viruserkrankungen mit der Anthroposophischen Medizin besser aufgestellt als mit konventioneller Medizin, weil unsere Behandlung auf allen Ebenen das Ich und sein Immunsystem stärkt und nicht durch Symptomunterdrückung schwächt.

Alle kennen heute die Folgen von Bewegungsmangel oder Tabakkonsum. Das ist die stoffliche Ebene. Jetzt geht es um seelische Krankheitsursachen?

Und geistige! Wenn ich es anthroposophisch ausdrücke: Da, wo der Astralleib so führt, wie Erziehung und Gesellschaft ihn geprägt haben, da muss jetzt Ichführung eintreten. Nicht mein Vater, nicht mein Arbeitgeber, sondern mein ‹Ich› sollte den Astralleib führen und unserem Leben seinen eigenen Rhythmus und die Gestaltung geben, die zur Persönlichkeit passt. Der Astralleib ist ja immer schneller als das Ich. Da müssen wir lernen, vom Ich aus die astralischen Ebene ‹einzubremsen› und zu führen. Hier lohnt es sich, Psyche und Geist zu unterscheiden. Wenn ein Kapitän im Sturm aus seiner Stimmung heraus das Schiff steuert, dann werden wir das Unwetter kaum überstehen. Er muss das Schiff aus seinem Geist dirigieren, jenseits seiner Emotionen und Ängste. Nicht anders sollten wir durch die Krankheit navigieren.

Mit der Blüte endetet das generative Wachstum der Pflanze. Da hemmt das Astrale das Ätherische. Wiederholt sich auf höherer Stufe dieses Prinzip?

Ja, wir können jede höhere Ebene so verstehen, dass sie die darunter liegende hemmt und verwandelt. Im jedem Schulungsweg steigern wir das. Also, wenn ich ein Klavierstück übe, dann verlangsame ich erstmal das Spiel, ich hemme, ich verlangsame den Lauf, damit mein Ich präsent wird im Handeln, und so verstärke ich die Ichführung.

Begegnet dir das jetzt bei Corona erstmals?

Ich habe es im Zusammenhang mit dem Epstein-Barr-Virus erarbeitet. Ich kenne Menschen, die nach einer Infektion ein Jahr lang oder sogar chronisch nicht mehr zu ihrer vollen Kraft gefunden haben. Mir fiel auf, dass die Betroffenen etwas gemeinsam haben: eine starke Leistungsorientierung, ein Lebensgefühl, dass das eigene Engagement noch zu gering sei. Da ist es wichtig, die Patienten aus dieser Spirale herauszubringen, damit die Heilung eintreten kann. Eine Schülerin, Klassenbeste, Abiturklasse, bekam das Pfeiffersche Drüsenfieber. Ich habe darauf bestanden, dass sie vier Wochen die Schule nicht besucht und nicht lernt. So konnte sie genesen. Sie schrieb dann das Abitur mit Bestnote. Wenn wir der Erkrankung Raum geben, dann können wir aus ihr Belebung gewinnen. Was willst du wirklich im Leben? Das ist die Frage. Dass wir uns von fremden Leistungsidealen befreien. Manche haben verinnerlicht, dass sie nur gemocht werden, wenn sie Herausragendes leisten. Da stecken viele Vaterthemen drin. Es geht nicht darum, einfach loszulassen, sondern zu sich selbst zu kommen.

Wir haben von ungünstigen Dispositionen gesprochen. Das erlaubt nicht den Rückschluss von Erkrankten auf deren Lebensumstände – oder?

Mir geht es darum, hier aufzuklären. Long Covid kann verschiedene Gründe haben. Ich habe hier über einen Aspekt gesprochen, es gibt auch ganz andere. Das möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Andererseits möchte ich aufklären, wie wir uns präventiv bei solchen Viruserkrankungen verhalten und was wir in der Zeit der Krankheit im positiven Sinne lernen können. Das kann auch entängstigen. Jeder von uns möchte morgen so leistungsfähig sein wie gestern. Gerade deshalb müssen wir bereit sein, den Ruf der Krankheit, der uns selbst gilt, zu hören. Ich habe mir angewöhnt, bei solchen Viruserkrankungen gegenüber meinen Patienten deutlich zu sein, weil sich das für sie nicht intuitiv ergibt. Krankheiten können unsere Entwicklung fördern, wenn wir sie verstehen.


Illustration Gilda Bartel

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