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Wie aus Hass der Friede wächst

Was der Liebe ihre Tiefe gibt, das ist das Gefühl der Ohnmacht: Sie lässt uns diese Kraft fühlen, bei der Hingabe an die Welt, an eine Aufgabe oder an einen Menschen das Reich des Grenzenlosen berührt, diese Kraft, die «niemals aufhört» und doch immer neu hervorgebracht werden muss – mit jedem Herzschlag erlebt in der Seele, erzeugt im Ich und sich erweisend in der Lebenswelt.


So weit und so hoch kann dieses Wesen reichen, dass es sogar, wenn es sein muss, auf sein Ziel, die Erfüllung, verzichten kann. Diese Kraft macht sehend, sie ist auf einer besonders hohen Stufe sogar Erkenntnis, so wie wirkliche Erkenntnis oder die Erkenntnis der Wirklichkeit nur mit Liebe möglich wird.

Der gewaltige Schattenwurf dazu ist ihr Gegenteil, der Hass. In unserer Gegenwart und Umgebung lebt er gerade neu auf. Angst und Entsetzen sind die Folge. Viele Menschen beginnen neu über seine Herkunft nachzudenken. Fragen entstehen wieder neu, wie Gewalt und Brutalität, auf Zerstörung, Tod und Vernichtung ausgerichtet, rechtzeitig bemerkt und begrenzt werden können. Psychologische Erklärungen reichen nicht hin, auch nur annähernd fassen zu können, was geschieht. Auch hier ist Ohnmacht zunächst das Einzige, was bleibt.

In seiner Vortragstrilogie über Anthroposophie, Psychosophie und Pneumatosophie (Berlin 1910/11) hat Rudolf Steiner im mittleren Teil erstaunliche Aussagen über Liebe und Hass gemacht. Demnach sind Liebe und Hass zwei Flügel, der Seele vergleichbar, deren eigentliche Inhalte ergänzt werden durch die aus dem Geist stammende Urteilskraft. Von ‹oben› kommt so etwas hinzu. Alles Erlebte ist zunächst unserer Zu- oder Abneigung ausgesetzt, das ist, was wir vorfinden. Wir stehen in der Möglichkeit, diesen Moment zu ergreifen, frei zu entscheiden, was wir tun oder lassen wollen, welche Konsequenzen wir mit unseren Taten ziehen wollen. «Es setzt sich nämlich nichts Geringeres als das ganze Seelenleben aus verschiedenen Kombinationen dieser beiden Elemente (Liebe und Hass) zusammen.» Das ist es, was das Seelenleben ebenso wie die Urteilskraft in jedem Augenblick begleitet.

Hilfreich dabei ist der Ausblick darauf, dass die freie Persönlichkeit zwar diese Seelenbedingungen in sich trägt, sich aber jederzeit entscheiden kann, wie sie sich dazu verhalten will. Man kann das so zu verstehen versuchen, dass ständig unter allen nur denkbaren Seelenregungen und Fähigkeiten ein Grund gegeben ist, der aus dem Gegensatz von Liebe und Hass und ihren Möglichkeiten besteht. Die eine Kraft, welche die Welt verwandeln, und die andere, die sie zu zerstören vermag. Diese Mitteilungen aus der Geisteswissenschaft sind unerlässlich, um den modernen Menschen in seiner Gegenwart zu verstehen und um anzuerkennen, dass jeder, ohne Ausnahme, eine Seele hat, die diese «Grundausstattung» seines Wesens in sich trägt und damit zurechtzukommen versucht.

Was sich allerdings in unserer Welt in diesen hundert Jahren seit Rudolf Steiner verändert hat, ist, dass die Macht des Bösen sich zuspitzt. Es ist das erneute Auftauchen der in der Anthroposophie als das dritte Böse bezeichneten Widersachermacht. Gerade in diesen Tagen ist zu erkennen, dass dessen Ziele sich nicht im 20. Jahrhundert ‹erledigt› haben, es sind die Wesen, welche blinde Gewalt und Vernichtung anstreben, den Hass stärken und mobil machen. Dabei spielt es auch eine Rolle, dass die Bewusstseinskraft derer, die das Böse klar erkennen und absichtlich handeln, die also ‹wissen, was sie tun›, deutlicher wirkt und stärker geworden ist. Man sollte seither vorsichtiger und vielleicht behutsamer mit der Morgenstern’schen Aufforderung umgehen, die vor Weltkrieg und Holocaust gemacht worden ist: «Liebt das Böse gut.» Dieser Macht des dritten Bösen gegenüber ist das vielleicht gar nicht möglich, wie es sich so schön in dieser Aufforderung sagen lässt. Berechtigt scheint da vielmehr oft zu sein, es abzuweisen und zu verneinen. Es lässt sich nicht verwandeln, auch wenn es einzelne Heilige gibt, die in ihrem Schicksal damit in Berührung gekommen sind und sogar die Kraft der Vergebung aufgebracht haben. Diese Kraft des Anti-Ich hat es auf Endgültigkeit abgesehen und es kann ihr nur mit einer vollkommenen Christusidentität im eigenen Blick widerstanden werden.

Der Hass und sein kleiner Bruder

Hass ist jedoch nie und nirgends ein berechtigtes Mittel, auch nicht im Kampf gegen das Böse. Der Hass hat aber einen ‹kleinen Bruder›, den Zorn. Wenn dieser in der Seele aufsteigt, kann er auch durchaus Gutes bewirken, wenn er sich gegen Ungerechtigkeit richtet oder als Verteidigung einer Idee oder eines Menschen zustande kommt. Dann kann er sogar zum heiligen Zorn wachsen, wie er als Gotteszorn in der Apokalypse vorkommt durch die ‹Zornesschalen›. In ihm lebt eine verwandelnde Feuerkraft, die nicht vernichtet.

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In der deutschen Sprache fällt auf, dass der Begriff ‹Hässlichkeit› das Wort Hass in sich trägt. Hass macht nicht nur hässlich, hässliche Umgebung ist sein Nährboden.

Doch was ist es, was in der Gegenwart so unerträglich die Hasskräfte schürt und hervorruft? Es tritt heute etwas auf, was gegenüber dem vorher Beschriebenen harmlos erscheint, was aber als eine Vorbereitung, als ein Zeichen gewertet werden kann. In dem genannten Zyklus spricht Rudolf Steiner auch über Psychosophie und beschreibt, dass an der Grenze von der Innenwelt mit ihrem Widerstreit von Liebe und Hass nach außen die Sinnesempfindung entsteht. Alle Sinnesempfindungen und Sinneswahrnehmungen wirken nun auf das Seelenleben zurück und prägen die Gemütsverfassung. In der Betrachtung dieser Tatsache fällt auf, dass in der deutschen Sprache der Begriff ‹Hässlichkeit› das Wort Hass in sich trägt. Hass macht nicht nur hässlich, etwa in einem wutverzerrten Gesicht oder in einer missgünstigen Gesinnung, auch in drohenden Gebärden oder schrillen Stimmen. Der Hass entsteht leichter, wenn man in einer ästhetisch hässlichen Umgebung aufwächst, was leider nicht nur in Kriegs- oder Notzeiten eintritt, sondern in jeder Großstadt. Der Sinn für Ästhetik ist nicht mehr natürlich gegeben, das drückt sich in der Sprache, in Farben und Formen, Klängen und Tönen aus, von denen heute jeder umgeben ist. Vielleicht ist das weniger harmlos, als es scheint.

Die Schönheit dagegen ist eine der höchsten Erscheinungen der Liebe in der Welt, sie ruft sie hervor und verschenkt sie großzügig, wo immer ihr Eintritt gewährt wird. Ein liebevolles Antlitz strahlt und verwandelt seine Umgebung augenblicklich.

Im sozialen Leben, im menschlichen Zusammenleben ist oft allzu deutlich, wie negative Gefühle ansteckend wirken können und sich steigern. Geteilter Hass wird doppelter Hass. Das gilt genauso für gemeinsam empfundene Sympathie oder Begeisterung. Ohne die ordnende Kraft des Urteils kann dieses kollektive Gefühl dann ebenso gefährlich und schädlich wirken wie der geteilte Hass. In beiden Fällen wird die Sinnesempfindung überwältigt und gelähmt.

Hass aber macht blind, von vornherein. Er verhindert, das Ich des anderen Menschen zu erkennen, mit einer oft tödlichen Wirkung. «Wenn Blicke töten könnten» – sie können! Auch Liebe kann ohne Urteilskraft in gefährliche Illusionen führen. Es überrascht daher nicht, dass in der altgriechischen Sprache die Worte ‹lieben› und ‹erkennen› identisch sind.

Die Kraft der Geisterkenntnis ist der Weg, unverwandelte Seelenregungen zu ergreifen und zu gestalten. Bei beiden Seeleninhalten, sowohl der Liebe als auch dem Hass, führt das zunächst in eine Ohnmacht, eine Empfindung des Ausgeliefertseins. Aus diesem Bann kann nur die aktive Erkenntnis der Wirklichkeit herausführen. Die Urteilskraft, die aus dem Ich in die Seele hineinwirkt und dann frei in die Welt hinausstahlt, sie befreit das Ich aus seiner Enge, sie macht selbstlos. Daraus entsteht eine Frucht, ein hoch erstrebtes Gut überall, im Kleinen und im Großen der Welt, im Einzelnen und in der Gemeinschaft: der Friede.


Titelbild: «Der hl. Dominikus und der hl. Franziskus, die die Welt vor dem Zorn Christi bewahren» (Detail), Rubens, 1620, öl auf Leinwand, 565 × 365 cm. Musée des Beau-arts, Lyon

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