Die Sektion für Schöne Wissenschaften veranstaltete im September 2021 ein Kolloquium zu Technik und Transhumanismus. Grundlage bildeten Rudolf Steiners Ausführungen in ‹Die Weltgedanken im Wirken Michaels und im Wirken Ahrimans› sowie ‹Von der Natur zur Unter-Natur› (GA 26).
Rudolf Steiner fordert, dass die Unter-Natur als solche ‹begriffen› werden muss, und setzt dann hinzu, dass sie das nur könne, «wenn der Mensch in der geistigen Erkenntnis mindestens gerade so weit hinaufsteigt zur außerirdischen Über-Natur, wie er in der Technik in der Unter-Natur heruntergestiegen ist». Diese Forderung versuchten die Teilnehmenden insofern erfahrbar zu machen, als künstlerisches Begreifen durch Kohlezeichnen und Eurythmie im direkten Zusammenhang mit dem nachdenkenden Betrachten in kurzen Vorträgen und Gesprächen über die Themen standen. Kunst, das hat das Kolloquium gezeigt, kann nicht nur den Rahmen bilden, sondern sie ist Erkenntnismittel des Individuums, da sie «aus ewig tätigen Vorstellungen schafft» (Rudolf Steiner, GA 276, 8.6.1923). Die Frage nach dem Zusammenhang von Kunst und Technik, nach ihren jeweiligen Qualitäten – Durchgang durch das Nichts –, ist eine Leitfrage, die auch auf weiteren Treffen bearbeitet wird.
Eine andere Frage war die nach der Regentschaft von Statistik und Zahl gegenüber dem Schicksal bzw. Karma innerhalb der Medizin. Statistiken regieren uns mehr denn je, Faktenwissen zählt, Medizin muss evidenzbasiert sein. Doch die Frage nach der Disposition entzieht sich der Statistik. Sie ist eine karmische Frage. Wie können beide Herangehensweisen in Einklang gebracht werden, wie ist Krankheit in diesem Zusammenhang zu begreifen, wie der Tod? Hieran schließt sich unmittelbar die Frage nach dem Leib und seinem Verhältnis zu der Maschine im weitesten Sinne an. Inwieweit können Maschinen verleiblicht werden, ohne dass die Maschine den Menschen beherrscht? Als Beispiel sei das Cochlea-Implantat genannt.
Technik ist nicht einfach Technik; die Art und Weise, wie der Mensch Werkzeuge und Geräte herstellt, hat sich im Laufe der Zeiten immer wieder tiefgreifend gewandelt. Da gibt es zunächst Werkzeuge (wie beispielsweise den Hammer), die dem Menschen seit Jahrmillionen zur Verfügung stehen. Von den Werkzeugen muss man die Maschinen unterscheiden. Werkzeuge sind nicht unbedingt auf einen Zweck festgelegt – man kann einen Hammer auch als Briefbeschwerer nutzen.
Während der Mensch beim Werkzeug den Zweck, für den er es einsetzt, noch (weitgehend) selbst wählen kann, ist bei der Maschine der Mittel-Zweck-Zusammenhang in deren Funktion implementiert: Eine Spülmaschine ist das Mittel für den Zweck, Geschirr zu reinigen. Bei Maschinen kann man zwischen Vorrichtungen (Fahrrad, Spinnrad usw.) und Automaten (Toaster, Waschmaschine, Automobil usw.) differenzieren. Vorrichtungen werden noch von der menschlichen Kraft angetrieben, während bei Automaten auch der Antrieb vom Menschen losgelöst ist.
Eine dritte Stufe der Technik stellen die Systeme dar, beispielsweise das Eisenbahnnetz. Im Gegensatz zur Maschine, wo der Mensch von außen den Apparat bedient, wird der Mensch im System zu einem seiner Teile. Die Maschine bediene ich äußerlich, wohingegen ich beim System mich zu einem seiner Teile machen muss. In der Eisenbahn bin ich im Prinzip nichts anderes als ein Gepäckstück, das von einem Ort zu einem anderen transportiert wird. In der Gegenwart hat sich ein Hypersystem – sozusagen ein System der Systeme – herausgebildet: das Internet. Es ist das System, das andere Systeme in sich aufnimmt, wie zum Beispiel das Postsystem, das Warenvertriebssystem usw.
Wie also hängt die Entwicklung der Werkzeuge, Maschinen und Systeme im Laufe der Zeiten mit der Genese des menschlichen Bewusstseins zusammen? Eine auf dem Kolloquium diskutierte These war, dass die in einem Zeitalter vorhandene Technik mit der jeweiligen Bewusstseinsentwicklung einer Kultur korrespondiert und sich die Menschen in der Auseinandersetzung mit den in ihrem Alltag vorhandenen Geräten und Systemen seelisch-geistig weiterentwickeln. Demnach kann man das Hypersystem ‹Internet› als das technische Widerlager ansehen, an dem die Menschheit die Bewusstseinsseele zu entwickeln hat.
Die Teilnehmenden des Kolloquiums, die aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen zusammenkommen, führen die Arbeit fort, da sie der Auffassung sind, dass in der Gegenwart – gerade von anthroposophischer Seite aus – eine wache Beobachtung der sich mit rasender Geschwindigkeit optimierenden Systeme dringend notwendig ist. Bei dem nächsten Treffen im März 2022 wird das Thema ‹Leiblichkeit› den Schwerpunkt bilden.
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