Zoltan Döbröntei ist Maler und Mitbegründer der Napút-Malschule in Ungarn. Seine Malereien sind der Ausdruck seiner anthroposophischen Forschung nach dem Geistigen, zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Sinnlichkeit und Intuition. Gilda Rhien ist ihm begegnet.
Skizzenwirksamkeit
Ich war zu Besuch bei Zoltan. In Piliborosjenö, mit dem Zug 25 Minuten von Budapest entfernt. Der morbide Charme der ungarischen Hauptstadt setzte sich auch auf dem Land fort. Maria holte mich mit ihrem verstaubten Auto vom Bahnhof ab und wir fuhren über eine Schlaglochpiste zu dem verwilderten, alten Haus der beiden, das einmal ein deutscher Schmied bewohnt hatte. Maria kam gerade aus der Waldorfschule, wo sie als Theaterpädagogin arbeitet, und sah etwas müde aus. Zoltan lief im Garten umher, genau wie der struppige alte Hund, und hatte schon eine Kaffeekanne in der Hand. Da hatte ich keine Scheu zu fragen, ob ich noch schnell eine rauchen könne. Maria lächelte mich an und sagte: «Ah, du rauchst, dann hole ich auch meine Zigaretten», während Zoltan mich wohlwollend musternd ansah und meinte, ich wirke gar nicht so typisch deutsch.
Es gab keinen konkreten Fokus, der mich hergebracht hatte. Eigentlich wollte ich nur gern die Gelegenheit nutzen, diesen Menschen und Maler kennenzulernen, weil mich seine Werke irgendwie beeindruckt hatten. Ich hatte nur zwei Begriffe im Gepäck, die mich selbst gerade beschäftigten. Der eine kam mir auf einer Kaffeetasse voller Internetzitate zufällig über den Weg gelaufen: ‹Erderotik›. Den anderen hatte ich in einem Gespräch mit Stephane Zwahlen über Steiners Schulungsskizzen für Maler gefunden: Skizzenbewusstsein. Und noch einige Fragen hatte ich: zum qualitativen Unterschied zwischen Skizze und vollendetem Werk, zum Unterschied von Zeigen und Sehen und was für Zoltan diesbezüglich die Aufgabe der Kunst sei. Sonst war alles offen.
Lichtwirksamkeit
Sein Atelier ist wie eine Klause, gemütlich und ästhetisch, dort, wo früher der Schmied seine Werkstatt hatte. Zoltan beschrieb mir, wie er arbeitet. «Zuerst skizziere ich den Umriss einer Figur. Ich habe eine Vorstellung davon, was ich malen will, z. B. einen Engel, der die Zerstörung der Welt anschaut. Ich versuche, die Vorstellung loszulassen. Ich beginne immer mit der Farbgebung des Hintergrundes, mit der Oberfläche. Der Hintergrund ist heller als der Körper der Figur. Ich male um die Figur herum. Außerhalb des Körpers ist das Licht. Wenn die Figur heller ist als der Hintergrund, dann verschwindet ihr Körper und hat mehr fliegende, entfliehende Tendenzen. Er fliegt aus dem Bild heraus. Im Körper liegt der Schatten, weshalb der Körper dunkler sein muss.»
Ich erzählte ihm von der ‹Erderotik›. Für mich hat dieser Begriff viel mit der Frage zu tun, wie ich meine Erde ergreife, wie ich anerkenne, dass ich eine Materialität habe, dass ich Schattenseiten, dunkle Seiten habe, dass es Grenzen gibt, die mir erst meine Möglichkeiten eröffnen, wie ich aufhören kann, mich in geistige Heimaten zu flüchten, und hier auf dieser Erde ankommen kann. «Das ist spannend im Verhältnis von Licht und Schatten. Wenn du das Bild anschaust, ist das Licht draußen und der Körper ist dichter, dunkler. Das ist der christliche Impuls in der Kunst: Licht geht durch Schatten und wird zu Farbe. Die Frage ist: Wie viel Licht kann durch etwas Dunkles, Materielles kommen? Die Wesen lassen unterschiedlich stark Licht durch ihre Körper, ihre Schatten fallen. Der Planet Erde im Sinne von Erderotik und Lichtverhältnis wäre: Wenn die Sonne untergeht, scheint sie durch den Planeten hindurch. Man sieht die Sonne nicht mehr, aber von der anderen Seite, wo sie noch scheint, scheint sie durch die Erde und durchleuchtet sie. Das ist eine künstlerische Imagination des Planeten in seinem Verhältnis zur Sonne.» Heißt das, dass unterschiedliche Erdmaterialitäten wie Steine, Bäume oder Seelen unterschiedliche Farben hervorbringen, wenn sie vom Sonnenlicht durchleuchtet werden? Er zeigt mir sein Bild ‹Hoffnung›: Die Sonne ist schon untergegangen, und erst jetzt ersteht ein Wesen, das aus der Erde kommt und in ihr läuft und nun sichtbar wird. Also die äußere Sonne geht unter und die innere Sonne, die Hoffnung, geht auf, wird sichtbar. Ich finde es sehr hoffnungsvoll, mir die Hoffnung als ein Wesen der Erde vorzustellen, das auch hier lebt, nicht nur anderswo. Wenn wir Materialitäten haben und Licht hindurchgeht und dabei Farbe entsteht, dann ist es in einer gewissen Hinsicht ein alchemistischer Prozess. Woher weiß Zoltan, welche Farben er nehmen muss? Ist es ein wissenschaftlich-forschender Prozess, den er studiert hat, oder ein intuitiver Prozess? Da erzählt er mir von einer Fähigkeit, an deren Ausbildung er mit den Studenten der Napút-Malschule, wo Zoltan seid elf Jahren unterrichtet, viel arbeitet. Es hat mit Intuition zu tun. Man kann durch die Herzqualität fühlen, wie man malt. «Wenn du Maler werden willst, musst du mit diesem Gefühl arbeiten, es schulen. Du kannst fühlen, ob die Farbe zu viel ist, ob es passt, ob etwas fehlt. Die gleichen Kräfte hast du auch im Sozialen. Du kannst fühlen, was dein Gegenüber braucht, ob es Durst hat, ob es sitzen möchte. Dieser Prozess ist wie eine neue soziale Fähigkeit, die auch für das Künstlerische gilt. Und es ist die gleiche Kompetenz, mit der du auch Karma fühlen kannst.»
Wesenwirksamkeit
Die Art, wie er spricht, denkt und fühlt, ist auch der ungarischen Sprache eigen. Sie klingt, als würde beständig ein friedlicher Zauberer kleine magische Handlungen im Ätherischen vornehmen. Zoltan spricht ungarisch, Maria übersetzt mir ins Englische und wieder zurück. Deutsch wird heute nicht gesprochen.
Ich frage ihn, ob er sich als religiöser Maler versteht. In seinen Bildern lebt irgendetwas, vielleicht wirklich das Licht. Und sie haben eine Wärme, die nicht aus dem Motiv stammt, auch wenn sie fast immer himmlische oder ätherische Zusammenhänge zeigen, aber in einer Art, die nicht zu erklären versucht. Er versteht sich als anthroposophischer Maler und ihm ist mit den Jahren immer wichtiger geworden, sich als solcher zu begreifen. Er zeigt mir ein Glasbild, eine Ikone von Maria und dem Jesuskind, das ihm sehr wichtig ist und das einiges verdeutlicht. Er hatte von der Rückseite her auf das Glas gemalt, also konnte er noch bei den ersten Farbschichten durchschauen und im weiteren Verlauf immer weniger sehen, wie das Bild sich von der Vorderseite aus gestaltet. Beim Malen auf Leinwand hat er das Gefühl, dass Wesen auf der anderen Seite mitmalen. Mit diesen Wesen versucht er zusammenzuarbeiten. Dann ist das Malen fast wie ein Orakel. Dieses Empfinden habe ich auch, wenn ich von Skizzenbewusstsein spreche, zumindest, was unsere Lebenssphäre betrifft. Dass ich mir gerade nicht durch zu viel Vorstellung verbaue, was das Leben selbst mitbauen will. «Wenn ich male, bin ich in einer fragenden Haltung der anderen Seite gegenüber, und du kannst die Antworten fühlen. Aber das hat nichts Mystisches. Man kann fühlen, z. B. dass da zu viel blau ist. Menschen können erkennen, wenn etwas zu viel ist, und zur selben Zeit gibt es die Antwort, was stattdessen hin muss. Das ist auf eine Art sehr einfach.»
Die Geduld in diesem mitunter langen Prozess nimmt Zoltan aus dem Interesse. Er hat ein Ziel und weiß auch um ‹dramatische› Spannungsbögen. Es gibt einen Anfang, es spannt sich ein Bogen, und der führt zu einem Ende. Aber bis zum finalen, absoluten Ende geht Zoltan nicht. Er hört auf zu malen, wenn er spürt, dass das Ende naht. «Es ist dann nicht mehr interessant. Die Wesen haben aufgehört zu sprechen.» Jedes Mehr wäre dann wie ein Ausmalen? «Ja.» Das hat auch mit meiner Frage zu tun. Ich meine nicht, dass man nur Skizzen machen sollte. Aber dieses totale Beenden hat auch etwas von Perfektion, in der die Dinge dann vergangen sind bzw. nicht mehr dem Mitwirken anderer Sphären offenstehen. Aber wie inkarnieren wir wirklich hier in unserer Erde, ergreifen uns selbst in unserem So-Sein, bauen mit unserem Material, das wir nun mal haben, weiter? «In diesem Bild, das unvollendete Stellen hat, gibt es auch sehr präzise Details, weil hier zwei Pole vorliegen. Die Skizze ist voll von Leben. Auf der anderen Seite braucht es auch einen sinnlichen, mehr realistischen Bereich, an dem sich der Betrachter halten kann, der ihm vertraut ist, der ihm den Eindruck von Realität vermittelt. Die Dynamik einer Skizze ist lebendiger Wille selbst. Der Bereich des Sinnlichen im Werk hat mehr Fühlcharakter, an den sich das Gefühl des Betrachters anlehnen kann oder an dem er etwas wiedererkennt. Im Bild gibt es drei Ebenen. Erstens: Wille, Gestaltung; zweitens: Gefühl, Sinnlichkeit, der realistische Eindruck; drittens: das Ding selbst, welches du malen willst. Es gibt Denken, Fühlen und Wollen im Bild. Wollen ist die Gestaltung, Fühlen ist das Sinnliche, Denken ist der Bereich, wo die Dinge sie selbst sind, also Steine, Pferde etc.» Im Sinne der Liebe zu meiner Erde (Erderotik), zu meinem konkreten Ich-Sein muss ich also auch Konturen schaffen, Linien setzen, an denen etwas in Erscheinung treten kann, den Willen zur Gestaltung aufbringen, sonst wird kein Werk.
Menschenwirksamkeit
Der Filmregisseuer Tarkowski sagte sinngemäß einmal, dass wenn man Kunst macht, man etwas opfern muss. Was wäre das? Zoltan lacht. «Diese Frage ist für mich! Es ist wahr, dass Bilder geboren werden durch Opfer. Aber Steiner sagte: Schönheit wird durch Chaos geboren. Das ist für mich wahr. Ich habe Kunst studiert und kann schöne Bilder machen mit den erlernten Techniken, aber die wahre Schönheit kommt von etwas Chaotischem. Du musst mit chaotischen Elementen kämpfen, um Schönheit zu haben. Und das ist das Opfer, nämlich dass du kämpfen musst. Es gibt viel Illusion, Lügen, schlechte Gedanken, Verlorenheit, damit musst du kämpfen. In der zeitgenössischen Kunst nimmt diese Art von Kunst zu, wo nicht unterschieden wird und nicht gekämpft wird. Das ist ruinös.»
Aber was ist dann die Aufgabe der Kunst in der Menschheitsgeschichte? Geben Bilder uns die Möglichkeit, andere Dinge zu sehen? Was ist der Unterschied zwischen Sehen und Zeigen? Der Maler zeigt uns etwas. Ist es so, dass Bilder Distanzen schaffen, die mir ermöglichen, zu sehen? Ist Kunst das Feld, wo Menschen etwas Neues schaffen können? «Ja, aber nicht in der Art, dass das Neue nicht auch Wurzeln in der Vergangenheit hätte. Ich spreche jetzt nicht über die künstlerischen Möglichkeiten der neuen Technologien. Jeder, der Augen hat, kann die Welt sehen. Aber wir wissen nicht, was wir sehen. Der Künstler muss eine Art von Visualität kreieren, die die Bedeutung mit einschließt. Visualität und Verstehen kommen aus zwei Türen zum Menschen. Der Künstler zeigt dir beide in einem sinnlichen Bild. Jeder zeigt dir ein Pferd, aber keiner weiß, was ein Pferd ist, ein Stein, der Mensch, die Wolke. Wir haben nur die Namen der Wesen, die Begriffe. Der Künstler muss sehen, wie diese Wesenheit in ihrer geistigen und physischen Form zusammen erscheint. Es geht darum, Imagination sehen zu lernen. Imagination gebiert etwas in der Zeit und wir stellen es uns immer auch im Raum vor. Wenn ich ein Kind sehe, kann ich ‹fühlend sehend› auch bereits den Erwachsenen erkennen. Jeder sieht den alten Mann oder das Kind, aber nicht zugleich. Das ist die Zukunft, die möglich ist für die Kunst. Wir brauchen richtige Kunst, weil Menschen durch Bilder verstehen können, wie bei einem Orakel. Wir brauchen auch neue Rituale. Und Kunst würde neue Formen dafür finden können. Kunst und Religion könnten zusammenarbeiten, z. B. bei Festivals. Das ist die neue Aufgabe von Künstlern, ein Bild wie ein neues Altarbild zu verwenden während eines Festes. Das ist der Weg, wie man auch rauskommt aus der Galeriewelt.» Und was ist mit der Wissenschaft? «Die echten wissenschaftlichen Resultate sind auch künstlerisch. Alles, was ich male, steht auf einer wissenschaftlichen Basis. Ich arbeite nicht damit, aber ich weiß, dass sie da ist.» Maria, die bisher nur übersetzt hat, hakt jetzt ein. Sie ist Wissenschaftlerin. «Der Künstler fühlt die Welt, denkt noch nicht und macht Kunst. Am Ende hat er eine Erkenntnis. Der Wissenschaftler denkt erst, hat eine Erkenntnis und fühlt dann, zum Beispiel auch, wenn etwas fehlt, nicht stimmt. Strader erlebt das in den ‹Mysteriendramen›, als er mit Ahriman über die zwölf Menschen spricht, die nur als Menschen im Drama wirken. Für Ahriman in seiner Cleverness ist klar, dass wenn er zwölf hat, er die ganze Menschheit hat. Und Strader kann ihm zustimmen, aber merkt, dass Ahriman etwas fehlt, er einen großen Schmerz hat, ihm im Anschauen etwas fehlt. Strader hat eine Intuition.» Maria erzählt noch von dem ungarischen Nobelpreisträger Albert Szent-Györgyi, der das Vitamin C isoliert hat und der einen Unterschied zwischen apollinischen und dionysischen Wissenschaftlern gemacht hat. Er selbst gehörte zu den Letzteren. Ohne geplanten Weg, ohne Vorbedingungen hat er geforscht. Durch Probieren ist er zu einer Erkenntnis gekommen. Zoltan ergänzt die nicht unerhebliche Tatsache, dass Kunst immer auch einen Schulungsaspekt hat, also nicht nur reine Gefühlswelt ist.
Erdenwirksamkeit
Ich beginne langsam zu sehen, was Zoltan meint, wo er hinwill: ein freies Zusammenkommen unter Menschen, ein freies Sprechen über ein Bild, über einen Baum, über einen Begriff. Ich spüre die Echtheit seines Anliegens, die Dramatik darin, die Kraft, die das kostet, auch wenn wir drei uns jetzt ansehen und Zoltan selbst sagt: «Rauchen?» Wir stehen wieder im Garten. Wir teilen gerade eine Erde, in der der Geist heute etwas zigarettenumwölkt ist, aber macht ja nichts. Zwischen der Offenheit von Skizzenbewusstsein und der Liebe zu meiner eigenen Erde gibt es noch ein Drittes, das sich in meiner Materialität und meinem Wie einen Raum bauen möchte. Zoltan arbeitet als Künstler für einen kathartischen Moment in den Herzen der Menschen, um sie aufzurütteln. Und was ich werken will auf dieser Erde, ist nicht mehr nur meine Erde, sondern unsere
Kosmos und Chaos
Rudolf Steiner
Niemand kann fortbestehen, wenn einzig und allein der Kosmos auf ihn wirkt. Denn, was ist Kosmos? Kosmos ist nichts anderes, als was aus vorhergehenden Ursachen und Gestaltungskräften sich gebildet hat. Nicht nur alle physischen Dinge, sondern auch alle moralischen und intellektuellen Lehren entstehen aus Ursachen, die vorher gelegt worden sind. … Bei dem Genie ist es nicht so. Es wirkt aus dem Chaos heraus. Das Genie ist dadurch etwas so Besonderes, weil ein neuer Funke in die menschliche Seele hineinkommt. Neue Einschläge, neue Begriffe entstehen und werden wirksam. Es ist die Vermählung des Kosmos mit dem Chaos, was im Genie ist. Es käme kein Fortschritt zustande, wenn nur die äußeren Ursachen da wären, wenn diese Ursachen sich nicht wieder in das Chaos mischten.
GA 284, Vortrag vom 19. Oktober 1907
Summer Camp der Napút-Malschule vom 7. – 14. Juli 2018 in Zsennye Bezeredj Castle Creative House, Ungarn. Thema: Auferstehung in der Malerei
Info: naputasok.hu, Anmeldung unter: naputasok@gmail.com
Coverbild: Remény (Hoffnung) von Zoltan Döbröntei, 2017, 100 × 148 cm, Öl auf Leinen