Wenn Ambrosia zu Brot wird

Die Götter essen nichts Irdisches. Sie ernähren sich von Ambrosia, einer himmlischen Nahrung, die ihnen Unsterblichkeit verleiht. Im Gegensatz dazu sind die Sterblichen, die Menschen, laut antiken Mythen die ‹Brotesser›. Brot ist ein Ausdruck der Abhängigkeit von der Erde.


Aber Brot ist auch eine Emanzipation gegenüber der Natur, es ist das Ergebnis von Feuer und Künsten (Prometheus), es erfordert Technik, Landwirtschaft, Backen usw. Die ‹Brotesser› sind die ‹zivilisierten› Menschen. Wenn das Brot knapp wird, bedeutet das, dass die Zivilisation im Niedergang begriffen ist, dass Wildheit, Barbarei und Elend sie bedrohen. Der Mangel an Brot ist ein Bild für ein soziales, zivilisatorisches Drama.

Aber auch Ambrosia ist für den Menschen nicht völlig unzugänglich. Platon beschreibt in seinem ‹Phaidros›, wie die menschliche Seele nach dem Tod in den Himmel aufsteigen und die Sternensphären erreichen kann, um die Ambrosia zu schöpfen, die ihr spiritueller Kern benötigt. Er deutet an, dass die Seele diesen Weg zum Himmel bereits während ihres irdischen Lebens beschreiten kann, indem sie ‹Philosophie› betreibt, die ihr Zugang zu ewigen Ideen verschafft. Der denkende Mensch im Sinne Platons reinigt und regeneriert seine Seele, indem er aus der Welt der Ideen schöpft.

«Dass uns das Brot fehlt, daran trägt doch wahrlich nur die Schuld, dass die Ideen, durch die wir es bisher uns zu erarbeiten versuchten, sich als unfähig erwiesen haben, es uns weiter zu verschaffen», so Rudolf Steiner (‹Ideen und Brot›, GA 24). Er verbindet damit die irdische und die himmlische Nahrung. Und er schließt: «Helfen kann nur die Einsicht, dass dem Brotmangel der Ideenmangel vorangegangen ist, dass der Letztere die Ursache des Ersteren ist. Der Weg, den wir gemacht haben, ist: Ideenmangel, Brotlosigkeit.» Das Brot wird so zu einem Bild für das Gleichgewicht zwischen Himmel und Erde, für das jeder Mensch verantwortlich ist. Wenn Ambrosia fehlt, fehlt auch das irdische Brot.


Foto Kate Remmer von Unsplash

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