Was meint Rudolf Steiner mit Intuition?

Rudolf Steiner unterscheidet bei der Intuition scharf die geistige Bedeutung des Begriffs von seinem Alltagsgebrauch. Verbindet man im Allgemeinen mit ihm eine etwas unklare, unbewusste und gefühlsmäßige Eingebung, so ist die Intuition in der Anthroposophie vergleichbar mit dem klaren, reinen Erfassen eines mathematischen Lehrsatzes.


Intuition ist die erste übersinnliche Erkenntnisform, die Rudolf Steiner erwähnt, und zwar in den Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften (enthalten in GA 1). Goethes Intuitionsbegriff führt auf zwei Denker zurück: auf Kant und Spinoza.

Rudolf Steiner führt aus, wie Goethe – im Gegensatz zu Kant – «durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur» eine intuitive Wissenschaft entwickelt.

Im Aufsatz ‹Anschauende Urteilskraft› nimmt Goethe seinen Ausgangspunkt bei Kant. Intuition ist nach diesem – und auch nach Goethe – Verstand, der intuitiven Charakter hat. Kant denkt sich dabei einen Verstand, der vom intellectus archetypus, «vom synthetisch Allgemeinen, der Anschauung eines Ganzen als eines solchen», zu den einzelnen Teilen geht, diese betrachtet und integriert. Goethe arbeitet diese intuitive Auffassung methodisch und praktisch weiter aus.

Steiner erläutert, wie entscheidend Spinozas Auffassung von Intuition für Goethe war, um seine eigene Art und Methode zu erklären. Für Spinoza ist Intuition die höchste Erkenntnisart, die es gibt. Für Goethe ist Intuition die Erkenntnisform, durch die das Lebendige, das Wesenhafte in der organischen Natur erfasst wird.


Aus Rudolf Steiner. Intuition – Brennpunkt des Denkens. Hrsg. von Edward de Boer, Basel 2014, S. 10.

Grafik Sofia Lismont

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