Stimmt die herkömmliche Vorstellung von der Zeit? Ist die Zeit wirklich ein Gefäß, in dem sich die Vorgänge abspielen, wobei jeder Mensch aus diesem Gefäß eine bestimmte Menge zugeteilt bekommt? Und: Kann man Zeit haben?
Der Psychologe Erich Fromm hat in seinem Buch ‹Haben und Sein› beschrieben, dass wir in einer Kultur des Habens leben und nicht in einer Kultur des Seins. Wir wollen ‹besitzen›, als Ersatz dafür, dass wir noch gar nicht wirklich existieren. Wir sind noch nicht. Damit meint Fromm, dass wir noch nicht der höhere, selbstlose, schöpferisch schenkende Mensch sind, zu dem wir die Veranlagung in uns tragen. Die Einstellung des ‹Habenwollens› hat sich auch auf unser Verhältnis zur Zeit erstreckt: Wir denken, dass wir die Zeit haben könnten. Haben will immer nur das Ego, während das höhere Wesen des Menschen nichts haben will, sondern dadurch ist, dass es schöpferisch tätig ist. Zu einer wirklichen Veränderung kommt man wohl nur, wenn man lernt, anders über das Wesen der Zeit zu denken. Dann kann sich auch unser Verhältnis zur Zeit ändern.
Gekürzt aus: Jean Claude Lin (Hrsg.), Im Garten der Zeit – Leben mit dem Schöpferischen. Stuttgart 2021.
Grafik: Sofia Lismont