Was meine ich mit Temperament?

Die Bezeichnungen der Temperamente gehen auf den griechischen Arzt Hippokrates zurück.


Er gilt als der Erste, der nicht mehr ein in die Mysterien eingeweihter Priesterarzt war. Mit ihm löst sich die Medizin aus der Theokratie, etwa der Asklepioskulte, heraus. Gesundheit und Krankheit sind durch die Mischung der Körpersäfte gegeben. Mit der Verdrängung der Säftelehre durch die analytischen Methoden ist auch die Temperamentenlehre in Psychologie und Pädagogik über Bord geworfen worden.

Die Temperamente sind auf eine dem Menschen immanente Differenzierung gestellt, die dem modernen Verständnis zugänglich ist. Die Temperamente sind nicht Entgleisungen, sondern sie machen aus, was den Menschen Mensch sein lässt. Sie sind keine Belastungen, sondern Chancen. Um die Chance wahrzunehmen, muss man sich heute erst wieder üben, von jedem Temperament die positive Seite sehen zu lernen. Welche Ruhe und Lebenssicherheit, welche Verlässlichkeit und welchen Optimismus bringen der Phlegmatiker oder die Phlegmatikerin ein. Wie jedes Wesensglied seinen existenziellen Beitrag zum Menschsein hat, so hat das Temperament den seinen, gerade auch im Zwischenmenschlichen. Wir müssen aufhören, die Temperamente verbal als Deklassierungen einzusetzen. Temperamente können entgleisen, wie jede Stärke zur Schwäche werden kann.


Zusammengestellt aus: Wolfgang Schad <Erziehung ist Kunst. Pädagogik aus Anthroposophie>, Stuttgart 1994.

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