Ist es die narzisstische Selbstbehauptung und Lustbefriedigung ohne Rücksicht auf die Mitmenschen? Ist es der Verzicht von Selbstdurchsetzung in Hingabe und Aufopferung an Menschen oder Aufgaben? Kann in einer dieser Richtungen überhaupt Selbstverwirklichung entstehen?
Ist Selbstverwirklichung überhaupt ein Prozess, der nur in einer Richtung verläuft, also vom Selbst ausgehend in die Verwirklichung? Wäre ein solcher Verwirklichungsprozess nicht eine Fahrt in einer Einbahnstraße, die als Sackgasse endet? Kann Selbstverwirklichung ein Monolog sein?
Selbstverwirklichung ist kein Unternehmen im menschenleeren Raum der unbegrenzten Möglichkeiten. Selbstverwirklichung scheint mir viel mehr ein Prozess zu sein, der einer Begegnung und Beziehung entspricht: Dabei geht es immer um ein Wechselverhältnis zwischen Ich und Du, zwischen Selbst und Welt. In einer solchen Wechselbeziehung können sich neue Erfahrungen und Qualitäten entwickeln. Selbstverwirklichung ist ein Gestaltungsprozess, dessen Gestaltungsideen und Motive aus dem Selbst, dessen Materialien und Qualitäten aus der Welt stammen.
Aus Markus Treichler, Der überforderte Mensch. München 2008.
Grafik Sofia Lismont