Unser Leben beginnt im Schmerz und endet oft darin, er ist ein treuer Begleiter. Leiblich ergreift er uns, mal warnend, mal zwickend, mal dumpf und sprechend, mal uns überwältigend.
Wer kennt nicht den seelischen Schmerz, die leise Melancholie, in der er sich süßlich verbergen kann, die Trauer der Abschiedsstimmungen, die uns auf der Schwelle zwischen Zukunft und Vergangenheit dem Gewesenen zuwinken lassen, oder Enttäuschung und Resignation, die uns das Leben so bitter schmecken lassen. Doch nicht genug, die Begegnung mit Schuld und Versagen, die erschütternde Stimme des Gewissens, die aufwühlende Einsicht in die unausweichliche Selbstveränderung sprechen sich in der Sprache des Erkenntnisschmerzes aus. Der Schmerz schreibt Dramen und Tragödien einer jeden menschlichen Biografie.
Das Eigentümliche am Schmerz ist, dass er uns bindet: leiblich an die Gegenwart, seelisch an die Vergangenheit, geistig an die Ewigkeit. Schmerz bedeutet erhöhtes, jedoch gebundenes Bewusstsein. Er ist ein personales, ganz individuelles Moment des Wahrnehmens und Leidens, daher ein Selbsterleben und Selbsterkennen höchsten Grades. Wir stehen vor dem Paradoxon, dass im Schmerz – und nur im Schmerz – die Chance zu seiner Überwindung liegt. Hölderlin macht uns weitblickend Mut: «Man steigt, auf sein Leid tretend, höher.» Wer Leid kennt, wird ein Mitfühlender anderer. Um es mit den schönsten Worten Adalbert Stifters zu sagen: «Der Schmerz ist ein heiliger Engel, und durch ihn sind Menschen größer geworden als durch alle Freuden der Welt.»
Aus: Iris Paxino, Leben mit dem Schmerz, in: Leben mit dem Leben – Zwölf Einsichten für die persönliche Entwicklung. Zusammenstellung Wolfgang Held.
Titelbild: Brina Blum/Unsplash