Wenn Schüler und Schülerinnen versuchen, das Ich in Worte zu fassen, schält sich bald heraus, dass nur dem Menschen die Frage nach sich selbst möglich ist. Dann wird aufgezählt: Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung, Selbstkontrolle.
All das kennzeichnet die Individualität, den Persönlichkeitskern. Es dauert nicht lange, bis anderes entdeckt wird: Zuwendung, Offenheit, Hingabe, Liebe. Zum menschlichen Ich gehört die Du-Fähigkeit! Der Mensch ist in seinem Ich nur dadurch gesund, dass er sich auf sich selbst stellt und dann die Wende findet, sich mit der eigenen Persönlichkeitskraft für andere einzusetzen. Hat das Ich in der sozialen Zuwendung geübt, wächst die Notwendigkeit zur Selbstbesinnung, zur Selbstidentifikation, um sich dann wieder für all das öffnen zu können, was man selbst nicht ist. Das Ich ist seiner eigensten Natur nach nicht allein egoistisch und nicht nur Selbsthingabe, sondern ein Atmungswesen. So muss das Ich sich aus der Weltwirklichkeit geistig einatmen können und zu sich finden, um etwas zum Ausatmen zu haben und sich verschenken zu können.
Entnommen aus ‹Rätsel des Ich› in: Wolfgang Schad, Erziehung ist Kunst, Stuttgart 1994.
Grafik: Sofia Lismont