Leben ist immer gestaltet. Es ist immer gegenwärtige Gestalt, die sich zeitlich wandelt. Wir fassen ja im Allgemeinen diejenigen Erscheinungen als lebendig auf, denen wir ein wenn auch nicht voll durchschaubares, so doch immer in sich geordnetes Verhältnis zu Raum und Zeit zubilligen.
Ortega y Gasset sagte einmal: «Leben heißt so viel wie Gegenwart.» Ein Leben, das nicht permanent aktive Gegenwart ist, gibt es nicht. In der leblosen Welt gibt es nur abgelaufene und bevorstehende Zeit. Diese Zeiteigenschaften gehen im Anorganischen mit unendlich kleinem Abstand, das heißt durch ein Nichts, ineinander über. Dadurch aber, dass wir leben und Lebendiges wahrnehmen, kennen wir die Gegenwart und er-leben wir permanent die Gegenwart.
Aus Wolfgang Schad, Säugetier und Mensch. Band 1, S. 11, Stuttgart 2012.
Grafik Sofia Lismont