Was meine ich mit Glauben?

Der Glaube begleitet die Menschheit, wie auch der Schmerz. Während dieser den Menschen abzuschneiden droht, trägt der Glaube die lebendige Verbindung zum Geist. – Gilt das auch noch für die Gegenwart?


Aus tieferer Beobachtung ergibt sich, dass der Glaube eine Grundkraft der Seele ist, die wirkt, auch ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Wir müssen nur unterscheiden zwischen der Kraft und dem Inhalt. Mit dieser Kraft regeln wir vieles in unseren sozialen Verhältnissen.

Maria Magdalena sieht als erster Mensch den auferstandenen Christus. Aber sie versteht nicht, um wen es sich handelt. Erst als dieser sie mit ihrem Namen anspricht, erkennt sie ihn als den Auferstandenen. Thomas ist der Letzte des Jüngerkreises, der dem Auferstandenen begegnet. Er kann kein Vertrauen aufbringen zu dem, was er von seinen Freunden erzählt bekommt: «Wenn ich nicht sehen kann in seinen Händen das Mal der Nägel, kann ich nicht glauben.» Jesus muss ihm erst durch unmittelbare Anwesenheit beweisen, dass er von den Toten auferstanden ist.

Wie könnte eine Ergänzung der Pole aussehen, die wir ja beide in uns tragen? Maria müsste in ihrer empfangenen Glaubenskraft erwachen, indem sie das Gedankenelement hinzufügt. Thomas müsste die Glaubenskraft, die keines Beweises bedarf, zu dem bringen, was er sich an Eigenständigkeit durch Zweifel und Ringen angeeignet hat.


Aus: Florian Roder, Leben mit dem Glauben, in: Leben mit dem Leben – Zwölf Einsichten für die persönliche Entwicklung, Stuttgart 2008.

Titelbild: Javardh/Unsplash

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare