Was meine ich mit Essen?

Aus einem richtigen Empfinden hatte man in früherer Zeit den Begriff ‹Lebensmittel› geprägt, das heißt Vermittler von Leben, das sich der Mensch auf diese Weise zuführt.


Offensichtlich enthalten Steine und Holz oder Salz kein Leben, deshalb kann der Mensch von ihnen kein Leben empfangen. Lebensmittel kann nur sein, was Leben enthält. Von Angelus Silesius stammen die Verse: «Das Brot ernährt uns nicht; was uns im Brote speist, ist Gottes ewiges Wort, ist Leben und ist Geist.» Damit wollte Angelus Silesius sagen, dass nicht die Substanz als solche uns ernährt, sondern der Inhalt, die Kraft des Lebens. Die Menschen richten immer mehr ihr Augenmerk nicht mehr auf das Leben als Kraft, sondern auf die Substanzen, auf die Verpackung, denn Leben ist eine besondere Kraft, die nur an bestimmte Substanzen gebunden werden kann. Als man nicht mehr wirklich spürte, was Leben ist, wurde auch der Ausdruck ‹Lebensmittel› nicht mehr verstanden. Deshalb spricht man heute lieber von ‹Nahrungsmitteln›.

Welches Lebensmittel ist nun reich an Leben? Es ist aufschlussreich, dass seit alten Zeiten die Menschen so gut wie ausschließlich nur das Fleisch von Tieren essen, die selbst keine Fleischfresser sind! Die Kuh bezieht ihr Leben von Pflanzen, die Katze aber von Mäusen, die ihrerseits wieder Vegetarier sind. Nur die Pflanzenwelt ist in der Lage, wirklich neues Leben zu bilden. Das Leben, das in dem Tier wirkt, ist eigentlich schon Secondhand, wie man heute sagt. Das Tier hat das Leben von der Pflanze und diese wiederum hat es vom Sonnenlicht; und in diesem wirkt ‹Gottes Geist›, wie man früher völlig zutreffend empfand.


Zusammengestellt aus: Otto Wolff, Was essen wir eigentlich? Stuttgart 1996.

Foto: Sofia Lismont

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