Was meine ich mit Eros?

Kennen Sie Beethovens «unsterbliche Geliebte»? Beethoven hat all seine Musik von einem bestimmten Zeitpunkt an einer «unsterblichen Geliebten» gewidmet. Es wird heute noch gerätselt, wer sie wohl gewesen sein mag, und die Art, wie gerätselt wird, sagt alles über diese Kraft des Eros, die zugleich die künstlerische Kraft ist. Man rätselt nämlich so, dass man fragt: Ist das eine reale Figur? […]


Die Gräfin war bestimmt die unsterblich Geliebte. Es war ein Knabe, ein Neffe von ihm. Ich behaupte, es kann alles gleichzeitig sein. Hier der Knabe, da die Gräfin und vielleicht noch drei, vier andere Gräfinnen und eben auch eine imaginäre Gestalt: der ‹Mensch›. Der Mensch, den [Beethoven] irgendwann in seinem Leben, irgendwann in seinen sensiblen Jahren einmal vor sich hatte und der in ihm nie erloschen ist. Dieser Mensch ist stellvertretend durch eine bestimmte Person verkörpert in unserem Bewusstsein anwesend. Wir haben irgendwann einmal jemanden kennengelernt, durch den dieses Urmenschliche uns plötzlich verkörpert entgegentrat. […] Ein bestimmtes Gesicht, das einem real irgendwann begegnet ist, wird zur Verkörperung des Menschen schlechthin. Und an dieses adressiert man alles, was man schöpferisch im Leben tut.


Aus Henning Koehler, Eros als Qualität des Verstehens. Wangen 2010.

Grafik Sofia Lismont

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