Wenn wir eine Erscheinung isoliert betrachten, trennen wir sie von ihrem Wesen. Erst dadurch, dass der Erkennende beide verbindet, wird ihm die Wirklichkeit, die in ihrer Vereinigung besteht, bewusst.
Das bedeutet, dass wir die Welt gemeinhin nicht in ihrer Wirklichkeit sehen, und nicht, dass sie erst im Erkennen entstünde, wie im 19. Jahrhundert Gelehrte gern in Vorworten und Sonntagsreden beteuerten, um keinesfalls als naive Realisten zu erscheinen. Erkenntnis entsteht durch die Verbindung von Wahrnehmung und Begriff einer Sache. Aus dieser Einsicht folgt: Nur wenn man Wahrnehmung und Begriff so weitgehend wie möglich vervollständigt und evident wird, dass die Wahrnehmung alle Begriffsforderungen erfüllt und dass alles Wahrnehmbare begriffen wird, kann man gewiss sein, kein vorschnelles Fehlurteil zu fällen. Im Vorwort seiner Farbenlehre sagt Goethe, dass wir schon mit jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren und dass es darauf ankomme, dies bewusst zu tun. Der Glaube, dass es irgendwelche Dinge ohne begriffliche Formung gäbe, könnte man wirklich als naiven Realismus bezeichnen. Es gibt nicht nur subjektive Begriffskonstitution. Es gibt nicht nur subjektive Begriffskonstitution, sondern auch objektive. Dabei ist wahres Erkennen wichtig für das Erkannte. Erst durch Selbsterkenntnis wird der menschliche Geist wirklich. Für alle Geschöpfe, die nicht zur Selbsterkenntnis veranlagt sind, können wir diese Erkenntnis teilnehmend vollziehen. Dieser Gedanke ist von Hegel, aber bereits der Apostel Paulus sprach vom Seufzen der ganzen Schöpfung. Sie seufzt unter der Trennung von ihrem Wesen. Durch die erkennende Überwindung dieser Trennung bildet sich das menschliche Ich.