Ohne Gedächtnis kann sich kein Wesen orientieren und ohne Erinnerung ist der Mensch verloren. Er wüsste nicht, wer er war. Erinnerungsbilder zeigen uns, dass wir die Erinnerungsfähigkeit haben. Meistens sind nur sie im Blick.
Aber an der Erinnerung sind zwei Faktoren: das Erinnerungsbild und das sichere Wissen, dass es sich dabei um die Vergegenwärtigung eines früheren Erlebens handelt. Obwohl sich das Vergangene gleich bleibt, sind die Erinnerungsbilder stetig neu. Sie sind ein Produkt der Lebenskraft, während die Gewissheit, dass es sich tatsächlich um eine Erinnerung handelt, nur ein Wesen haben kann, das in der Zeit lebt und diese etwas transzendiert. Das ist charakteristisch für das menschliche Ich. Es gibt Menschen, die keine inneren Bilder haben. Nicht einmal das Antlitz der eigenen Mutter können sie vor sich sehen. Aber sie können sagen, wie diese aussah, denn sie wissen es unanschaulich. Ohne das innere Wissen könnten wir Erinnerungsbilder nicht von Fantasiebildern unterscheiden. Es ist unentbehrlich, während anschauliche Erinnerungsbilder fehlen können. Wenn man das Einschreiben von Ereignissen Gedächtnisbildung nennt, gilt, dass alle Lebewesen Gedächtnis bilden. Vereinfacht: Pflanzen sind Gedächtnis, Tiere haben Gedächtnis, Menschen können außerdem daraus Erinnerungen hervorholen. Obwohl diese mühevolle Tätigkeit den ganzen Menschen erfordert, drängen sich manche Erinnerungen auf. Es ist furchtbar, nicht vergessen zu können. Vergessen und Erinnern bedingen sich. Man sollte beide Künste, deren Gleichgewicht ein Prinzip der Waldorfpädagogik ist, üben.