In dem Moment, wo das Denken auftritt, fallen die Fesseln der Sinneswelt ab und mit ihnen die Fesseln des örtlichen Gedächtnisses. Jetzt erst erlangt der Mensch die absolut freie Verfügungsgewalt über das eigene Gedächtnis, das ihm von nun an – von den fernsten Ereignissen, die er selbst erlebt hat, bis zu den fantasievollsten Vorstellungen, die er frei gebildet hat – zugänglich ist.
Das Unterscheiden und Vergleichen wie auch das Schließen und Planen geschehen mithilfe von Vorstellungen, zwischen denen der Zeitstrom vermittelt – den der Denkende allerdings zunächst nicht bemerkt. Er bleibt im Inhalt befangen, folgt ihm in seinen Intentionen und glaubt am Ende, richtig gedacht zu haben. Dieser unbewusste Vorgang wird uns noch beschäftigen müssen, er gehört jedoch zur Verstandesseele dazu wie das Wasser zum Fisch.
Aus Frank Teichmann, Die Kultur der Verstandesseele: Griechenland – Texte und Bilder. Stuttgart 1993.
Grafik Sofia Lismont