Wir begannen mit ‹denken›, wir schließen mit ‹danken›. Ob es zwischen diesen beiden Worten eine etymologische Beziehung gibt oder nicht, es existiert doch eine Verbindung zwischen den beiden Handlungen.
Wir können dankbar sein, in dem Maße, in dem uns bewusst wird, was uns gegeben wird – in dem Maß, in dem wir denken können. Und wir können uns umso besser denken, je mehr unsere Gedanken durch Dankbarkeit unterstützt werden.
Wir erstreben das Danken nicht nur für das bereits Geschenkte, sondern auch für das, was gerade im Entstehen ist, und für das, was noch kommen soll. Danken ist eine vollständig freie Aktivität. Manchmal dringen wir darauf, dass unsere Kinder ‹Danke› sagen, aber die Dankbarkeit selbst können wir nicht erzwingen. Wenn Dank wirklich unter dem Wahrzeichen der Freiheit gegeben und empfangen wird, bedarf es häufig keiner Worte. Ein Blick genügt.
1980 war ich als Freiwilliger bei Mutter Theresas Missionaren der Nächstenliebe. Den ganzen Tag sammelten wir die Kranken und Sterbenden in den schmutzigen Straßen von Kalkutta auf. Am Ende der Woche hatte ich Ruhr bekommen. Ich fragte mich im Stillen, wie man dankbar sein kann, wenn die Welt so voller Elend ist. Dann kam mir ein seltsamer Gedanke: Niemand könnte sagen, dass er jemals Gott gedankt habe oder dass er überhaupt jemals dankbar gewesen sei, wenn er nicht auch für das Leiden dankbar gewesen sei.
Aus: ‹Finde dich neu – sechs Stufen zu einem kreativen Leben›, in Michael Lipson, ‹Falter›, Verlag Freies Geistesleben 2015.