Was meine ich mit Bühne?

Eine Bühne besteht nicht zwangsläufig aus Brettern und bedeutet auch nicht immer die ganze Welt. Aber immer ist eine Bühne da, wo ein Weltbezug ist. Das muss nicht vorsätzlich sein.


Wenn ein kleines Kind im Einkaufsladen vor Wut platzt, hat es kein Gefühl dafür, auf einer Bühne zu stehen, und trotzdem zieht es die Augen und Ohren, ja das Interesse seiner Umgebung so auf sich, dass alle Beteiligten unfreiwillig Spielende in einem Stück werden. Wenn Eltern die Schamesröte ins Gesicht steigt, ist es eben nicht nur die Verzweiflung, was zu tun sei, sondern das genaue Gespür dafür, dass man auf diese Bühne gestellt wurde.

Es sind die Menschen drumherum, die die Bühne erschaffen, weil sie hinschauen und hinhören. Ein Amphitheater ist daher ein schöneres Geschöpf für eine Bühne als die Schaukasten-Bauten, die sich gut für eine flache Leinwand eignen. Ein Amphitheater gibt ein genaues Bild dafür, wie sich eine Peripherie und ein Zentrum bilden, wenn sich die Aufmerksamkeit einer Welt, die immer multiperspektivisch ist, mit einem Geschehen verbindet und zusammenströmt. So wird jede Bühne kreiert. Für Darstellende ist es nicht möglich, ihre Bühne zu erschaffen; die Kunst besteht darin, jedes Detail ihrer Darstellung so zu vollbringen, dass die, die das Publikum sein könnten, sich, also ihre Aufmerksamkeit, daran hingeben wollen. Insofern ist die Bühne immer im anderen Menschen. Wenn ich mich meinen Gedanken wie ein anderer gegenüberstellen kann, dann baut auch die Meditation in mir eine Bühne. Bühne ist ein Weltkonstrukt; sie ist der Hort der Aufmerksamkeit. Eine Bühne wird zu einer kleinen Welt, weil sie gedacht und gefühlt und gewollt wird von den Menschen. – Und die Welt ist eine Bühne, weil sie gewollt, gefühlt, gedacht wird von den Göttlichen.


Titelbild: Grundsteinsaal am Goetheanum. Foto: Xue Li

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare