Was es so schwer macht, die Anthroposophie in wenigen Worten zu beschreiben, ist, dass wir sie weder als eine besondere Art der Wissenschaft erklären können noch als Religion und auch nicht als Kunst. Sie hat von allem etwas und ist doch keines im Besonderen.
Wer zu erklären versucht, was Biologie ist, kann die übergeordnete Familie anführen – eine Naturwissenschaft – und dann den spezifischen Unterschied dieser Wissenschaft zu den anderen Mitgliedern benennen – sie handelt vom Lebendigen. Weil die Anthroposophie sowohl Momente des Wissenschaftlichen wie auch des Religiösen und der Kunst enthält und weil sich in ihr nahezu alle Themen oder Inhalte aus Religion und Wissenschaft finden, funktioniert eine solche Erklärung für die Anthroposophie nicht. Auch greift ihr gegenüber die heute übliche Unterscheidung zwischen Natur- und Geisteswissenschaft nicht. Sie ist zwar selbst ein Kulturphänomen und beschäftigt sich mit Kulturphänomenen wie die akademischen Wissenschaften, aber sie beschäftigt sich zugleich mit der Natur und dem Kosmos. Gleichzeitig ist sie aber auf innere Erfahrung und auf Lebenswandlung angelegt. Sie ist nicht nur eine Theorie, sondern ebenso sehr Praxis. Was die Anthroposophie von allen anderen Kulturphänomenen unterscheidet, ist die Tatsache, dass sich in ihr die ansonsten voneinander getrennten kulturellen Lebensgebiete verbinden.
Aus Jörg Ewertowski, Sich selbst wandeln im Erkennen. In: Was ist Anthroposophie.
Grafik Sofia Lismont