Was meine ich mit Angst?

Angst gehört unvermeidlich zu unserem Leben. Wir sollten ihr nicht mit der Frage gegenübertreten, ob sie gut oder schlecht ist, sondern wie wir sie in unsere Persönlichkeitsentwicklung einbeziehen können.


«Das Erleben und Aushalten der Angst stärkt das Selbstbewusstsein und die Selbsterfahrung am Andersartigen. Daher ist die Entwicklung des Selbstbewusstseins nicht zu trennen von dem Umgehen mit der Angst», schreibt Michaela Glöckler. Die Angst veranlasst eine Selbstprüfung, die uns auf die entscheidenden Punkte aufmerksam macht, und sie veranlasst schließlich ein Sich-Zusammennehmen. Die Angst entsteht zunächst im unmittelbaren Gewahrwerden des Sich-nicht-mehr-abgrenzen-Könnens. Es ist das Bedrohtsein von Auflösung, also von Identitätsverlust, einem Übermaß an Beziehung. Dieser Angstsensation folgt die Angstausbreitung, die Angst vor der Angst und – wenn die Sammlung nicht gelingt – die Angstverkrampfung mit dem Gefühl der Einsamkeit und Isolation. Aber: In der Angst selbst, nicht nur in ihrer Überwindung, liegen positive Entwicklungskräfte. Die Angst wird erst pathologisch, wenn wir in ihrer Bewältigung überfordert sind und ihre Aufforderung nicht verstehen. Sinnvolle Bewältigung heißt jedoch immer ‹Einfügung›, ‹Einbezug›, in gewisser Hinsicht ‹Be-Freundung›.


Zusammengestellt aus Henning Köhler, Vom Rätsel der Angst. Reihe ‹Falter›, Stuttgart 1992.

Grafik: Sofia Lismont

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare