Dass der Regen zu Boden fällt, das Brot im Ofen aufgeht, ja selbst dass die Sonne ihren Weg über den Himmel zieht, all das macht in der Vorstellung eines antiken Ägypters erst die Göttin Maat möglich.
Sie als Repräsentantin des Rechts zu verstehen, ist nicht falsch, aber zu klein. Sie ist dafür da, dass die Dinge in ihrer Ordnung sind und bleiben. Dass sie diesen göttlich-irdischen Dienst zu leisten vermag, verlangt, dass die Menschen nun selbst nicht aus der Ordnung scheren, weil sie sonst ihrer Göttin Maat die Inkarnationsbedingungen nehmen würden. Aus diesem Grund sei, so der Ägyptologe Jan Assmann, die ägyptische Spiritualität keine Religion, weil man sich hier nicht entscheiden könne, sondern ein unumstößliches Lebensgefühl gewesen. Welches Gefühl ist heute ähnlich tief im Bewusstsein, im Leib verankert? Ich vermute, so wie die Ägypter fühlten, dass man rechtschaffen sein müsse, weil sonst die Schöpfung aus den Fugen gerät, so ist es heute das Gefühl der Selbstgerechtigkeit, die selbstverständliche Forderung und Gewissheit, dass einem selbst Recht widerfahren müsse. Niemand dürfe den Kaffee, den man in der Hand hält, einfach als den seinen erklären, niemand dürfe an der Haustüre stehen und sagen, ab jetzt wohne er oder sie hier – denn wenn ‹meins› und ‹deins› nicht mehr gelte, dann würde Chaos und Unordnung über uns kommen. So wie die Ägypter lernen mussten, dass die Ordnung nicht gottgegeben ist, so scheint für uns heute die Zeit gekommen zu sein, wo wir uns von der allzu ungefragten Selbstgerechtigkeit befreien müssen, um eine Ordnung von Eigentum und Besitz zu bauen, an der alle Menschen teilnehmen können. Dann ist sie wieder göttlich.