Kommentare zum Beitrag ‹Gegen Rassismus› in ‹Goetheanum› 13/2021.
«Wie können wir unser Auftreten so wandeln, dass Anthroposophie nicht nur in ihren Ideen, in ihrem Angebot, sondern auch in ihren heutigen Repräsentantinnen und Repräsentanten allgemein menschlich ist?» Was heißt das? Mainstream, konform werden, als Anthroposophen keine Kritik an Missständen äußern dürfen? So wie der Dornacher Brief an Herrn Hitler über die Konformität mit dem NS-Regime? Christoph Meier
Die Erklärung ist ein Anfang. Trotzdem erlebe ich unter uns ein Weltfremd-Sein, eine Naivität. Wir durchschauen Manipulationen nicht, sind oft konfliktunfähig, glauben, dass man nur lieb und süß zusammenleben muss.
Machtmissbrauch, Unwahrhaftigkeit, alte patriarchale Strukturen sind leider keine Ausnahme in der Anthroposophischen Gesellschaft, genauso wie in der Christengemeinschaft. Man glaubt, ein besserer Mensch zu sein. Hochmut und Angst gehören zusammen. Ich glaube, dass sich Rassismus und Antisemitismus sowie Manipulation, Lügen, Unwahrhaftigkeit deswegen in unseren Bewegungen zu Hause fühlen. Es wird nicht durchschaut in uns selbst, sondern projiziert auf die böse Außenwelt – und genau das macht man mit Rassismus, Antisemitismus, Hass.
Wenn Wahrheit nicht wichtig ist und nur philosophisch betrachtet wird, wenn man sich lieb und kultiviert verhalten muss, ohne starke innere Schulung, ist es ein dünnes Gewand, etwas, das man braucht, um einander ein Gutmenschentum vorzuzaubern, voller Angst vor Entdeckung.
Wir sind es selbst, sind Menschen mit Angst, Wut, Zweifel. Unser zivilisiertes Verhalten ist oft noch eine Vernissage, noch lange kein Wahrhaftiges, kräftiges Leben und Handeln vom Ich aus. Universitätsausbildung reicht nicht aus, wenn innere Schulung fehlt. Und innere Schulung ist Illusion, wenn wir nicht in der Außenwelt mitmachen wollen.
Realitätssinn, ein richtiges Verständnis für alles, was geschieht in uns und um uns, nicht nur esoterisch erklärt, sondern im sozialen Handeln wahrhaftig geworden, ist meiner Meinung nach das Einzige, das uns helfen kann, keine Sekte mit vielen rechtsextremistischen Aspekten zu werden. Anthroposophie muss gelebt werden, nicht nur gedacht und fantasiert. Und man muss keine Angst haben, schmutzig (unrein) zu werden. Das ist man schon, es muss erst mal sichtbar werden. Wendela Beemsterboer
Das Problem liegt sicherlich nicht in einzelnen Textpassagen aus dem Jahr 1917. Die Fragen gehen tiefer: Warum gibt es im Umfeld der Anthroposophie ganz offensichtlich und unbestreitbar relativ viele Menschen, die für teilweise abstruse Verschwörungstheorien offen sind? Und: Was ist es, was diese Menschen mit den Verschwörungstheoretikern anderer Herkunft verbindet? Da lassen die distanzierenden Wortmeldungen aus der anthroposophischen Kurie derzeit noch allzu vieles offen. Markus Schärrer
Diese Erklärung wird nicht reichen. Anlass für die jüngsten Kommentare in den Medien sind die Aktivitäten einiger Anthroposophen und Anthroposophinnen im Zusammenhang mit den Corona-Protesten. Hierzu erwartet die Öffentlichkeit zu Recht eine Erklärung von uns. Und wenn wir keine liefern, dann fantasiert sie sich etwas zusammen. Es geht weniger um eine Abgrenzung gegen ‹rechts›, denn die Strömung in der Anthroposophenschaft, die für Verschwörungsnarrative anfällig ist, sieht sich selbst nicht als ‹rassistisch›. Und wahrscheinlich ist sie es auch nicht in dem Sinne, wie diese Worte normalerweise benutzt werden. Insofern kann diese Erklärung nur ein erster Schritt sein. Für mich entscheidend ist: dass Menschen, egal ob inner- oder außerhalb unserer Zusammenhänge, einem Schwarz-Weiß-Denken verfallen und in Freund-Feind-Schemata abrutschen, wenn sie allem und jedem Böses und manipulative Absichten unterstellen, wenn sie sich auf ausgesuchte ‹Quellen› berufen und nicht mehr in der Lage sind, andere Sichtweisen überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn gelten zu lassen. Warum macht Anthroposophie anfällig für solche Unarten? Meine These: Viele Anthroposophen haben sich Anthroposophie nicht durchs eigene Denken erarbeitet, sondern übers Empfinden. Das führt dazu, dass sie sich abhängig von Steiners Autorität gemacht haben. Sie sind abhängig von den exakten Formulierungen, sind nicht in der Lage, sich davon zu lösen und in ein freies Verhältnis zu ihnen zu kommen und sie dann auf die aktuelle Wirklichkeit zu beziehen. Das fällt jetzt auf und wird so zum Problem für uns alle.
Die Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie muss heute neu begründet werden, für uns, aber auch für die Öffentlichkeit. Stefan Padberg
Es ist verständlich, dass sich offizielle Vertreter gerade so verhalten, sie stehen in ihrer Funktion stark unter Druck. Dennoch ist die Stellungnahme sehr oberflächlich und dem Mainstream angepasst. Offenbar regiert hier die nackte Angst. Anthroposophie wird in ihrem Kern dennoch davon unberührt bleiben. Für kompetente und tief gehende Lektüre zu diesem Thema kann ich die aktuelle Ausgabe von ‹Die Drei› empfehlen. Benjamin Wagner
Anthroposophie ist keine Privatsache, sie steht in der vollen Öffentlichkeit. Es gibt keine Kurie, keine normierenden Autoritäten. Es gibt sie nur, insofern sie zu solchen gemacht werden. Was zählt, sind Argumente, ist Nachvollziehbarkeit. Das ist nur zu haben, durch Bildung, im Sinne einer erarbeiteten Fähigkeit, Zusammenhänge frei von Ressentiments vertieft zu erfassen. Ressentiment meint hier Abneigung und vorschnelles Urteilen und in eine Schublade stecken.
Das gilt selbstverständlich nicht nur für die Anthroposophie, sondern auch für Wissenschaftler, für Politiker, für Journalisten. Es gilt schlicht für jeden verantwortungsbewußten Menschen, der sich des lauernden Irrtums der eigenen Rechthaberei bewußt ist.
Es war in den langen vergangenen Monaten oft zu beobachten, wie aus Angst zurückgegriffen wurde auf Überzeugungen und Polarisierung. Viel und längst nicht genug wurde getan, das aufzufangen. Und die fehlende Balance zwischen Übertreibung und Verharmlosung hat viel Schaden angerichtet.
Verbunden waren zugleich alle durch die Verunsicherung gegenüber dem, was da aus dem Unerwarteten hereinkam. Und wir alle konnten die Relativität sicher geglaubter Überzeugungen erleben. Denn es ist der menschliche Geist, der Bezüge herstellt, den Dingen Wert gibt und Bedeutung. – Darin liegt vor allem die Notwendigkeit und der heilsame Wert eines differenzierenden und zusammenhangschaffenden Dialogs. Das ist nach meinem Empfinden die tiefere Bedeutung von Demokratie.
Niemand kann sich der vielschichtigen Wirklichkeit, dem was herandringt aus dem bislang Unsichtbaren entziehen. Das wird so bleiben und vermutlich in dem Maße zunehmen, in dem man sich an scheinbar Unumstößlichem festhalten will. Man wird nicht auskommen ohne die wissenschaftlich gründliche Hinwendung zu den geistigen Dimensionen des Daseins.
Die Frage warum viele Anthroposophen sie den Verschwörungstheorieen hingeben hätte meiner Meinung noch tiefer betrachtet werden können. Der Diskurs ist so wichtig. Ich Trau mich bald gar nicht mehr zu sagen das ich der Anthroposophie sehr zu getan bin…
warum gibt es nicht eine klare Stellungnahme zum Thema #keinschrittnachrechts ? Dann könnte man meiner Meinung nach offen und zugewandt diskutieren. Aber ich mag nicht mehr mit Menschen diskutieren die sich früher oder später als „der AFD nicht abgeneigt“ herausstellen…