Gemächlich nähern sich die Wellen. Sie scheinen mit dem Ufersaum zu spielen. Doch sie schieben sich vor: Es ist Flut. Und es ist Sommer.
Die Menschen strömen auf die Nordseeinsel Föhr. Sie spielen im Sand und bauen Burgen, Bälle fliegen durch die Luft. Die sonnendurchlichtete und -durchwärmte Luft bräunt die Haut. Am Strand sind die Elementarreiche dem Menschen nahe.
Die Wassertemperaturen laden zum Baden ein: hinein in die Fluten! In ihrem Auf und Ab rhythmisieren mich die Wellen. Bald befinde ich mich Dutzende Meter von meiner Einstiegstelle entfernt – abgetrieben. Erst als ich Kraft aufwende, kann ich zurückschwimmen.
Wasser lehrt uns vieles über die Kraft des Unscheinbaren und ist damit dem Denken verwandt. Selbst beim unauffälligen Wellengang zeigt sich eine Art Wille. Unübersehbar äußert er sich, wenn in Winterstürmen das Wasser über Strand und Promenade gegen die Panzerglasfenster des Cafés Valentino drückt.
Doch noch ist Sommer. Das Abendlicht färbt die Nordsee kräftig ein: mal stahlblau, mal türkis, mal milchig. Einmal erscheinen die ruhigen parallelen Wellen rosa-weiß gestreift, als hätte Disney das Farbdesign übernommen. Fern von den Beats der Strandcafés plätschert es am Strand. Oder, in den Worten der Föhrer Dichterin Stine Andresen (1849–1927): «Am Meeresstrande stand ich / In stiller Sommernacht. / Es flüsterten die Wellen am Ufer, / Leis und sacht.» Dann setzt sie fort: «Vor mir des Meeres Spiegel, / So still wie ein Gebet, / Und über mir der Himmel / Mit Sternen übersät.» Der Blick wendet sich in die Weite und hinauf in den Kosmos. Nun sind wir in allen Dimensionen verankert. Und sagen uns in kindlicher Stimmung: Das Wasser, es kommt von oben.
Zu dem Bild: Ohne Titel (aus dem Schmerz), Gilda Rhien, 60 × 80 cm Goldgrund, Acryl auf Leinwand, Juni 2018 (Ende offen)