Die Leitung der Naturwissenschaftlichen Sektion hat zum neuen Jahr gewechselt. Johannes Wirz übergab sein Amt an Vesna Forštnerič Lesjak. Die neue Leitung besteht nun aus ihr und Matthias Rang. Das bietet eine gute Möglichkeit für einen Blick in die Arbeit und Bedeutung der anthroposophischen Naturwissenschaft. Die Fragen stellte Gilda Bartel.
Liebe Vesna Forštnerič Lesjak, lieber Matthias Rang, was haben Sie an der Arbeit von Johannes Wirz geschätzt?
Vesna Forštnerič Lesjak Johannes Wirz habe ich vor elf Jahren kennengelernt, als er noch nicht der Co-Leiter der Sektion war. Ich habe sofort gesehen, dass er ein treuer Mitarbeiter der Naturwissenschaftlichen Sektion und des ganzen Goetheanum war, er hat immer bei allen Treffen, Vorträgen und Ausbildungen eine große Begeisterung für die Sache ausgestrahlt und auf alle Anwesenden übertragen, hat mit großer Kraft seine Gedanken aus Forschung und Anthroposophie weitergegeben. In den letzten Jahren habe ich die Ehre gehabt, ihn immer besser kennenzulernen. Ich schätze ihn nicht nur als Wissenschaftler im Bereich der Biologie, Genetik und Bienenhaltung, sondern auch als Menschen. Er ist klar in Gedanken, warm im Herzen und vor allem immer ein freier Geist, der seine eigene Persönlichkeit mit allen Besonderheiten offen und ehrlich zeigt. Ich denke, dass die jüngeren Generationen diese Eigenschaft sehr gerne sehen bei ihren etwas älteren und erfahrenen Kollegen, die lebenslang in der Anthroposophie gearbeitet haben. Eine ehrliche, lebenslang begeisterte und begeisternde Persönlichkeit, in allen ihren Farben. Er hat sich bei der Übergabe der Leitung gut um mich gekümmert und wird uns allen in der Sektionsarbeit sicher in der Zukunft noch weiter helfen. Ich muss aber auch betonen, dass wir schon jahrelang ein gutes Sektionskollegium haben und weiter haben werden.
Matthias Rang Beeindruckend fand ich immer, wie Johannes den Blick des Molekularbiologen mit dem ertastenden und ergebnisoffenen Betrachten eines goetheanistischen Forschers so verbinden konnte, dass sich mir als Zuhörer aus beidem zusammen oft eine hohe innere Evidenz ergab. Die Art, wie er moderne Forschung, die er sehr gut kennt und in ihren Ergebnissen aufmerksam verfolgt, mit Anthroposophie verbinden konnte, war für mich immer sehr wertvoll. Aus der Sache heraus hat er oftmals auch außerhalb der Anthroposophie stehende Forschende als ‹Verbündete› geschätzt. Die große internationale ‹If gene›-Konferenz 1996 und die großen Forschungsprojekte zu morphologischen Veränderungen von genetisch manipulierten Pflanzen sind nur zwei Beispiele. Johannes ist oftmals sehr direkt, sodass man immer weiß, woran man ist, und ich bin sehr dankbar für die letzten beiden Jahre, in denen wir enger zusammenarbeiten durften. Da ich selbst in meinen 15 Jahren am Goetheanum einige Male den Wunsch zu kündigen verspürt habe, bewundere ich auch, dass er mehr als drei Jahrzehnte hier tätig war und in dieser langen Zeit mit viel Expertise und Tatkraft die Sektion stark prägen konnte.
Lieber Johannes Wirz, was wünschen Sie den neuen Leitenden der Sektion?
Johannes Wirz Das Allerwichtigste zuerst: volle Forschungsfreiheit. Dieser Wunsch tönt weniger verwegen, sobald man versteht, dass der innere, spirituelle Weg einen nicht von der Welt trennt, sondern immer stärker mit ihr verbindet. Aus dieser Zeitgenossenschaft fließen einem Weltfragen und damit Inspirationen für Forschungsprojekte zu – das ist meine langjährige Erfahrung. Als Zweites wünsche ich meinen beiden Kollegen und Freunden eine solide Grundfinanzierung vom Goetheanum, die heute leider nicht genügend gesichert ist. Erst auf dieser Grundlage können unternehmerisch verantwortlich Gelder und Menschen für konkrete Forschungsprojekte gefunden werden. Und drittens wünsche ich ihnen eine unbedingte Offenheit und ein soziales Gespür, das jüngeren Menschen die Tür zur anthroposophisch-goetheanistischen Arbeit öffnet. Dafür müssen sie bereit sein, anzuerkennen, dass ihre Schülerinnen und Schüler und die Studierenden besser werden können, als sie selbst es sind. Allen Ginsberg hat einmal gesagt: «If the student is not better than the teacher, then the teacher is a failure.»
Gibt es einen thematischen Schwerpunktwechsel mit dem Wechsel der Leitung?
VF Sicher werden sich die Themen sowie die Art und Weise, wie wir etwas machen, ändern. Jeder bringt seinen Schwerpunkt mit, aber auch seine Persönlichkeit. Ich bin als Pharmazeutin und Landwirtin ausgebildet und meine goetheanistische Forschung geht vor allem in diese Richtung. Deswegen ist es gut, dass wir wieder zwei Co-Leitende werden. Der Bereich der Physik zum Beispiel ist nicht wirklich mein Bereich (lacht). Für mich ist auch die Gemeinschaftsbildung wichtig. In Slowenien habe ich die erste Pionierarbeit mit Gemeinschaftsbildung im Bereich Goetheanismus, anthroposophische Pharmazie und Medizin auf die Beine zu stellen versucht und tue es weiter. Das ist eine langfristige Arbeit, die Geduld erfordert, ohne Erwartung auf schnelle Früchte – eine Arbeit, die in naturwissenschaftlichen Kreisen hier und weltweit vielleicht etwas fehlt. Mir scheint die Verbindung und respektvolle Zusammenarbeit zwischen uns Naturwissenschaftlern und Naturwissenschaftlerinnen wichtig, um in der Zukunft stärker präsent und kreativ werden zu können. Als Slowenin bringe ich andere Qualitäten mit, aber auch Einschränkungen. Deswegen bin ich froh, dass Matthias Rang die Sektion mit mir gemeinsam weitertragen wird. Denn ich merke, wo ich schwach bin, ist er wirklich stark.
MR Wir haben uns Anfang Februar mit allen Mitarbeitenden der Sektion und mit Johannes Wirz und Johannes Kühl in eine zweitägige Klausur zurückgezogen, in der wir auf die letzten Jahre, die kommenden Herausforderungen und unsere zukünftige Ausrichtung schauten. In der großen Perspektive werden wir sicherlich eine Kontinuität anstreben. So war seit der Gründung der Sektion ihre Kernaufgabe, die Wissenschaft in den Bereich des Lebendigen und Ätherischen zu erweitern, und wir sehen heute, wie wichtig dies ist. Am Goetheanum streben wir seit einigen Jahren auch eine engere Zusammenarbeit unter den Sektionen an. Da Vesna als Pharmazeutin schon verschiedentlich mit der Medizinischen Sektion zusammengearbeitet hat und als Landwirtin auch einen Bezug zur Landwirtschaftlichen Sektion hat, können wir hier in Zukunft die Zusammenarbeit hoffentlich noch intensivieren und auf diese Weise unsere Arbeit noch etwas breiter aufstellen.
Welches sind die Forschungsthemen der nächsten Jahre, die naturwissenschaftlich angegangen werden sollten oder müssten?
MR Jeder Mensch weiß, dass die Erde eine Erdhülle, eine Wasserhülle und eine Lufthülle hat, aber die Wasserhülle und besonders die Lufthülle sind uns im Alltag weniger bewusst. Dass darüber hinaus die Erde auch eine Wärmehülle hat, ist vielen Menschen gar nicht bekannt, doch zeigen sich gerade die Klimaprobleme hier besonders deutlich. Ich denke, wir haben als Sektion hier eine Aufgabe, die wir noch nicht voll wahrnehmen. In einem kleinen Pilotprojekt haben wir versucht, die Wärmehülle der Erde experimentell zu charakterisieren, hier wäre mehr Forschung unbedingt wünschenswert.
VF Viele Themen sollten erforscht werden, die für die Zukunft wichtig sind, wie Klima, Landwirtschaft oder Genetik. Ich persönlich habe auch einige andere Forschungsthemen. Wofür ich mich am meisten interessiere, ist die Heilmittelentwicklung und das Verständnis der Wirkung der Heilmittel mit dem goetheanistischen Blick. Auch die bildschaffenden Methoden sind mir ein großes Anliegen. Sie brauchen dringend einen neuen Umgang, um ihr volles Potenzial zu entfalten. Vor allem brauchen wir die goetheanistische Ausbildung der jüngeren Generation weltweit, welche immer stärker materialistisch-wissenschaftlich ausgebildet ist. In der Folge tragen sie diese Art Wissenschaftsimpuls ins Leben und fühlen sich oft innerlich leer und seelisch durstig. Sie müssen sich nicht von der Wissenschaft trennen, sondern einen neuen Zugang zu ihr finden. Einen Zugang, der nicht die Lebenskräfte raubt, sondern möglichst üppig schenkt.
Inwiefern ist die Arbeit der anthroposophischen Naturwissenschaft bedeutsam für die Zukunft der Menschen? Worin sehen Sie ihren Beitrag?
MR Gerade hatten wir schon das Thema des Ätherischen und wie stark die Krisen in unserer Zeit mit der Negation dieses Bereiches zusammenhängen. Uns nützt es wenig, wenn wir mehr darüber sprechen, sondern wir brauchen Forschungsprojekte, die uns erlauben, das Ätherische als Übergangsbereich zwischen dem Physischen und dem Geistigen greifbarer zu machen. Ich denke, das ist sehr bedeutend, und gerade in diesem Übergangsbereich liegt die Aufgabe unserer Sektion. Zugegebenermaßen ist das eine große, vielleicht auch ferne Perspektive, deren Realisierung wir nicht allein erreichen können, aber wir sehen diese Forschung als eine Investition, einen Beitrag in die Zukunft der Menschheit auf der Erde.
VF Jeder, der die goetheanistische Methode in der Forschung gut kennenlernt, liebt und anwendet, ist überzeugt, dass dieser Impuls für die Menschheit nicht nur bedeutsam ist, sondern auch entscheidend für die Zukunft. Wie wir heute mit der Natur und den Phänomenen in der Wissenschaft, der Wirtschaft und im Sozialleben umgehen, führt zu einer vollständigen Degeneration der menschlichen Seelen und der Natur. Wir müssen dringend einen neuen Umgang mit der Sinneswelt lernen. Dieser Umgang muss auch seelisch-geistige Hintergründe einbeziehen, erforschen und verstehen, damit der Mensch nicht physisch und seelisch-geistig gespalten im Leben steht und sich wie im Krieg mit der Natur und mit den anderen Wesen benehmen muss. Die goetheanistische Methode ist nicht nur eine Forschungsmethode, sie ist ein Lebensstil, ein anderes Herantreten an die Sinneswelt und die Mitmenschen. Ihr Potenzial hat sich bisher trotz vieler Bemühungen erst keimhaft entwickelt, denn es braucht Zeit, Hingabe und vor allem Anerkennung, auch innerhalb der anthroposophischen Kreise.
Sollte jeder Mensch auch ein Naturwissenschaftler sein, als Pendant zu: ‹Jeder Mensch ist ein Künstler›?
VF Meine Antwort darauf ist blitzartig: Ja! Kunst und Natur sind sowieso untrennbar. Wir als Menschen sind auch ein Teil der Natur, wir sind ein künstlerisches Werk der Natur. Wer sich selbst und das Leben liebt, liebt die Natur. Und jede Liebe verlangt auch das gründliche Verständnis des geliebten Objektes/Subjektes. Wir sind alle eingeladen, die Natur besser zu verstehen. Und die Natur ist immer um uns herum. Wir können jeden Augenblick von ihr etwas Neues lernen, wenn wir wollen. Eine Naturwissenschaftlerin zu sein, ist zuerst ein Ausdruck für die in diesem Bereich ausgebildeten Menschen. Aber als Menschen haben wir alle Sinne, um näher an die Natur zu kommen, und ein Denken, das so weit ausgebildet werden kann, dass sie innerlich auch verstanden wird. Wir selber stellen Grenzen auf zwischen der äußeren Natur und dem Inneren des Menschen. Ich finde Goethes Worte wunderbar: «Ich suche die Idee in der Erfahrung, weil die Natur nach Ideen verfährt.»
MR Als Menschen sind wir in zwei Welten beheimatet. Und die meisten spirituell interessierten Menschen wissen, dass ich dem Bereich des Geistes Liebe und Aufmerksamkeit zuwenden muss, damit ich in ihm beheimatet und ganz Mensch bleiben kann. Für die Natur ist dies genauso, und Naturwissenschaft bedeutet, dass ich mich für sie, ihre Erscheinungen und Phänomene interessiere, Anteil an ihrem Schicksal nehme. Unsere Sinne verbinden uns mit der Natur und Naturwissenschaft beginnt mit einem Aufmerksamwerden auf diese Sinne und wie sie uns mit der Welt verbinden. Es ist verblüffend, wie sehr wir als Menschen von Phänomenen in der Natur geistig beschenkt werden, wenn wir erst einmal auf sie aufmerksam geworden sind.
Wie kann die Naturwissenschaft den Menschen wieder zu mehr Erdung verhelfen?
VF Eine sehr gute und wichtige Frage. Das ist neben anderem das Ziel der Naturwissenschaft. Die goetheanistisch-anthroposophische Naturwissenschaft verlangt ein klares, schöpferisches und imaginativ ausgebildetes Denken anhand der klar ergriffenen Phänomene in der Welt. Das bringt die erste Erdung und ist der beste Schutz vor dem Irrtum. Wenn ich die richtigen Gedanken entwickle, die aus einem ganzen Bild, aus dem Verständnis der Zusammenhänge stammen, kann ich im zweiten Schritt auch die richtige und praktische Anwendung dieses erworbenen Verständnisses kreativ, gut und richtig finden und schaffen. So schwingt der Naturwissenschaftler oder die Naturwissenschaftlerin zwischen dem tätigen Willen in der Forschung zum lebendigen und ganzheitlichen Denken und dann wieder zum schöpferischen Tun zurück. Ein Weg von der Erde zum Himmel und wieder auf die Erde zurück.
Titelbild Hinten links: Johannes Wirz, Torsten Arncken, Matthias Rang, Johannes Kühl.Vorne links: Vesna Forštnerič Lesjak, Ruth Richter, Mara Born. Foto: Xue Li.
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Liebe Vesna;
ich freue mich von Ihnen zu hören und werde Ihnen in den nächsten Tagen mein
in Schweden selbst weiterentwickeltes Torföl schicken.Die Angaben dazu stammen von Rudolf Steiner und sind in den Arbeitsprotokollen des „Kommenden Tag“ bei Euch archiviert.Leider ist die Aktualität dieser Arbeit von Euren Vorgängern bisher ignoriert,bzw.verhindert worden;aber ich werde dranbleiben.
In der Hoffnung auf eine offene,daran
interessierte Seele grüßt freundlich
Stefan Möhner