Vom Tanz zur Begegnung aller

«Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde.»

Friedrich Nietzsche, Aus: ‹Also sprach Zarathustra – Vom Lesen und Schreiben›


Im Herbst 2020, noch vor der großen Konjunktion von Jupiter und Saturn, sprach ich mit dem Naturforscher Dorian Schmidt darüber, wie man so ein astronomisches Ereignis, die engste Stellung von Jupiter und Saturn seit 500 Jahren, denn verstehen könne. Sein wichtigster Satz schien mir zu sein, dass die Ereignisse am Nachthimmel so kompliziert und vielfältig seien, dass man nur schwer zu einem Bild darüber kommen könne. Eine einzelne Konstellation – und sei sie so herausragend wie die große Konjunktion – ist, so empfinde ich es auch, wie ein Ton in einem Musikstück. Es lohnt sich deshalb, den Blick zu weiten, um weitere Töne dieser kosmischen Symphonie zu finden, hören zu lernen. Auf diesem Weg wird aus der einen Konstellation ein Geschehen, der eine Akkord wird eine Melodie.

Wo Zentrum und Umkreis sich begegnen

Die Konjunktion von Jupiter und Saturn ereignete sich im Grenzbereich von Steinbock und Schütze. Es ist eine besondere Nahtstelle im Tierkreis, weil die Formensprache der Sterne sich hier umstülpt. Während im Schützen die Sterne ein Feld ausfüllen, einen ganzen Bezirk des Himmels erleuchten, umzirkeln sie im Steinbock einen inneren Bereich. ‹Innen› und ‹Außen› stehen sich in diesen beiden Bildern gegenüber. ‹Innen› und ‹Außen› ist auch der Gegensatz, den Saturn und Jupiter repräsentieren: Saturn strahlt in sich hinein, Jupiter herrscht nach außen. Zwei Jahre später spielt sich in derselben Tierkreisregion nun ein österlicher Tanz der Planeten ab. Aus der Begegnung der großen Planeten wurde ein Tanz, vor allem der irdischen Nachbarn Venus und Mars. Über drei Monate schien es, als hielten sich die beiden Wandler an den Händen und kreisten umeinander. Was ist ein Tanz? Begegnung in Bewegung oder Bewegung in einer Begegnung! Im Tanz ist die Begegnung kein Moment mehr, sondern verläuft und vertieft sich in der Zeit. Im Tanz hält man den Partner, die Partnerin, während die Umgebung zu fliegen scheint. So ist die Begegnung jeden Moment neu, weil sie ihren Ort verschiebt. Diese Begegnung in der Zeit wandelt sich bald nach Ostern noch einmal. Von der Konjunktion über den Tanz folgt nun, wenn es auf Pfingsten und Johanni zugeht, ein dritter Akt. Das himmlische Schauspiel steigert sich zu einer Reihe aller Planeten in höchster Ordnung, die sich am Morgenhimmel über das Firmament spannt. Die enge Konjunktion von Jupiter und Venus am 1. Mai und die nicht weniger dichte Begegnung von Jupiter mit Mars am 29. Mai bilden dabei einen Rahmen. Zur Monatsmitte kommt dann Uranus hinzu und als letzter fehlender Planet fügt sich zum Monatsende Merkur in die Reihe. Leider reicht dessen Höhe über dem Horizont nur für einen Blick im Fernglas. Nun sind alle acht Planeten – rechnet man Pluto hinzu – am Morgenhimmel versammelt. Welch eine Reihe und mit welch einer Ordnung: Von Merkur bis Saturn stehen die Planeten in dem Bogen in ihrer kopernikanischen Folge, und auch die Transsaturne sind von links nach rechts gemäß ihrer Ordnung da. Die große Konjunktion fand am 21. Dezember, dem Tag der Wintersonnenwende, statt und machte die seltene Begegnung damit zu einem Sonnenereignis, einem Ereignis der geistigen Sonne, der Wintersonne. Mit dem Ostertanz von Venus und Mars, umrahmt von Jupiter und Saturn, fokussierte sich das Himmelsereignis auf die Erde, um sich nun auf das ganze Sonnensystem zu erweitern.

Bild: Alle Planeten sind Anfang Juni vereinigt. Foto: Wolfgang Held

So wie heute jede persönliche Fragestellung immer auch das große Menschliche in sich einschließen sollte, so wie das Private zugleich das Öffentliche ist, so scheint hier die Begegnung von Jupiter und Saturn mit dem Ostertanz 2022 und der drauffolgenden Planetenreihe im Mai und Juni bis Johanni die Weite und Universalität des Planetensystems einzubeziehen. Das Teil und das Ganze, wie es Werner Heisenberg nannte, ereignen sich kosmisch.

Der Krieg zum planetarischen Konzil

Doch wie ist das Sterben, die schreckliche Gewalt in der Ukraine, mit dieser Ordnung am Himmel zusammenzubringen? Yaroslava Black schrieb im ‹Goetheanum› 9/2022, dass die Menschen in der Ukraine nicht nur wegen des Überfalls des Brudervolkes und der offensichtlichen Kriegsverbrechen entsetzt sind. Es herrsche auch Sprachlosigkeit und Schock, dass ‹heute›, dass im 21. Jahrhundert so das archaische Recht des Stärkeren geschehe. Vielleicht ist das der Schlüssel. Was sich im Dreischritt von Begegnung, Tanz und Vereinigung aller am Himmel abspielt, zeigt die Perspektive, zeigt das Bild der einen Welt, der einen Menschheit jenseits der Abgründe imperialer Großmachtträume. Dass Australien sich für den Frieden in der Ukraine engagiert, dass 2000 Menschen in Buenos Aires auf die Straße gegangen sind, sind Zeichen, dass sich dieser Traum, dieser Mythos der einen Welt nicht nur am Himmel ereignet. 70 Millionen Geflüchtete machen Vertreibung und Heimatlosigkeit zum Thema aller Menschen. Eine Klimakrise, die vor keiner Grenze haltmacht, macht Ökologie zum Ruf an alle Menschen. Ein Hunger, der immer noch mehr als 800 Millionen Menschen betrifft, macht Gerechtigkeit und Verschwendung zum Ruf an alle. Vielleicht ist der Bogen aller Planeten, der sich von Ostern bis Johanni aufspannt, dieses Himmelssymbol der einen Welt, Zuspruch, diesen ‹Ruf an alle› hören und beantworten zu können. Ja, ihn zu hören, ist das österliche, sich nun in den Dienst aller Menschen zu stellen, ist das pfingstliche Ereignis. Johanni ist das einzige Jahresfest, das einem Menschen gewidmet ist. Alle Menschen als Menschheit zu verstehen und diesen Ruf an alle als persönlichen Aufruf zu verstehen, das lässt die goldenen Eimer, von deren Niederstieg und Aufstieg Faust spricht, emporsteigen. Das macht diese Konstellation am Himmel, dieses planetarische Konzil zu einem irdischen Ereignis.


Artikel erweitert entnommen aus: ‹Sternkalender 2022/23›

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