Vom Licht, das ich sehe, begreife, ergreife

Elf Skizzen von Mitarbeitenden am Goetheanum aus 2021 für 2022.


Gerald Häfner

Füreinander und für das Leben

Am Anfang dieser Pandemie haben viele auf Balkonen musiziert oder haben den Ärzten, Ärztinnen und Pflegekräften applaudiert. Da wussten wir noch wenig, aber die Stimmung war: Wir halten zusammen. Heute wissen wir viel, aber sind auseinander. Was könnten wir alles tun, wenn unser Wissen wachsendes gemeinsames Wissen wäre und wir gemeinsam lernen und handeln würden? Der Riss ist tief. Er geht durch Familien, Betriebe, ja manchmal durch uns selbst. ‹Teile und herrsche› ist ein ebenso fatales wie wirksames Prinzip. Das eine bedingt das andere. Wenn wir gespalten sind, haben wir uns im Ganzen nicht mehr in der Hand. Dann herrscht ein anderer Geist und etwas anderes bestimmt über uns. Diese Zwietracht und wachsende Unmenschlichkeit besorgt mich. Dazu gehört die Suche nach Sündenböcken, etwa ‹die Anthroposophen als Treiber der Pandemie›. Von gleicher Qualität sind ‹die korrupten Politiker› oder ‹die gekaufte Presse›. Es sind gruppenbezogene Pauschalisierungen, die uns hindern, das Berechtigte im Denken, Empfinden und Handeln der anderen zu sehen.

Wer so sein Gleichgewicht verliert, verliert seine Mitte, sich selbst und seine Möglichkeit, zu handeln. Was wir deshalb jetzt stärken müssen, ist Gleichgewicht: das innere und das äußere. Das innere gewinne ich durch seelische Übung. Ich lasse mich in meinem Denken, Handeln und Empfinden nicht zu Vereinseiti­gungen hinreißen. Ich verliere mich weder in kaltem, urteilendem Denken noch im heißen Überschwang von Empfindungen und Begierden. Sondern ich führe mein Denken, Fühlen und Wollen so, dass es fähig wird, sich für das Ganze der Realität zu öffnen und daraus die Kraft zu beziehen für mein Urteilen. Und in der Gesellschaft? Hier finden wir tastend Gleichgewicht, wenn wir alle relevanten Standpunkte hören, das Wollen der anderen verstehen, um miteinander Lösungen zu suchen, welche Freiheit des Einzelnen und soziale Verantwortung verbinden. Dies bereitet den Boden -für eine andere Kultur und Gesellschaft: herzliches Interesse am anderen, gemeinsames Lernen und permanentes Gespräch über das Zusammenleben; -für eine andere Form von Politik: immer mehr runde Tische, Bürgerräte und -beteiligung, demokratische Entscheidungen aller; -für eine neue Form der Wirtschaft: für-, durch- und mit- statt gegeneinander. Vertrauen und Kooperation statt Misstrauen und Konkurrenz.

Uns stellt diese Pandemie vor die Frage: Seid ihr fähig zur Verantwortung und zur Sorge füreinander und für das Leben? Wenn wir diese Fähigkeit nicht entwickeln, wird Fragmentierung und Polarisierung der Gesellschaft einem neuen Autoritarismus und Totalitarismus den Boden bereiten. Wenn wir sie aber entwickeln, kann das den Weg frei machen zu einer freieren, gerechteren und sozialeren Gesellschaft. Aus diesen Bildern des letzten Jahres resultieren Motive für die Zukunft: Dazu gehört das Bewusstsein, dass wir nur aus der Mitte heraus heilsam wirksam sein können. Und das Bewusstsein der großen Aufgabe der Anthroposophie, ihres Schulungsweges, ihrer Sozialwissenschaft und ihrer Sozialkunst für eine positive Entwicklung der Gesellschaft.


Georg Soldner

Die Mitmenschen im Blick

Mich hat 2021 beeindruckt und nachdenklich gemacht, dass die Pandemie in den verschiedenen Ländern der Erde so unterschiedlich erlebt wird. Auf den Philippinen wurde Kindern über Monate verboten, auf öffentlichen Plätzen zu spielen. In Peru sind die Schulen bis Sommer 2022 geschlossen. Menschen sterben an Luftnot, weil im Irak der Sauerstoff privat gekauft werden muss. Wenn wir uns in diese so unvergleichlich größere Not hineinfühlen, dann erweitert das die eigene Urteilsbildung und hilft, innere Kräfte zu entwickeln in dieser äußeren Bedrängnis. Es ist wichtig, dass wir uns mit allen Menschen in Mitgefühl verbinden. Dabei hilft die Anthroposophie. – Eine Kollegin in Brasilien hat mir erzählt, dass sie 360 an Covid erkrankte Menschen konsequent mit anthroposophischen Arzneimitteln behandelt hat und keine ihrer Patientinnen und Patienten gestorben ist. Andererseits waren auch manche Kolleg:innen bei ihrer eigenen Covid-Erkrankung dankbar für intensivmedizinische Hilfe. Gerade bei Covid-19 ist integrative Medizin wichtig und kann die anthroposophische Medizin dabei einen wesentlichen Beitrag leisten. Im Blick auf das nächste Jahr bin ich zunächst erfüllt von Dankbarkeit dafür, was uns die anthroposophische Medizin gibt, präventiv und therapeutisch. Beim Thema Impfung ist eine freie Urteilsbildung wesentlich und lernen wir ständig hinzu. Dabei sollten wir auch Menschen aus anderen Erdteilen in den Blick nehmen, denen bestimmte für uns selbstverständliche Behandlungen gar nicht zur Verfügung stehen.


Christiane Haid

Es könnte alles anders sein

Ein Satz von Joseph Beuys hat mich in diesem Jahr berührt: «Meine Damen und Herren, die Welt ist doch ganz anders!» Er steht auf einer der 100 Tafeln des Werkes ‹Richtkräfte›. In der Corona-Zeit zeigt sich, dass wir in bestimmten Gedanken wie eingefroren sind. Medial vermittelte Haltungen präformieren uns. Wenn es mir gelingt, so auf das scheinbar Feste, die ‹Realität› zu schauen, dass ich dabei denke, es könnte vielleicht ganz anders sein, dann verändert das sehr viel. Neue Erfahrungen werden möglich. Gewöhnlich haben wir Urteile, die uns Sicherheit vermitteln. Beuys fordert jedoch einen immer wieder neu zu bildenden Blick auf die Wirklichkeit heraus. Dabei ist man auf sich selbst verwiesen, hat keinen Boden mehr unter den Füßen. In dem Buch ‹Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten› hat mich in diesem Zusammenhang ein Gedanke von Rudolf Steiner besonders angesprochen: Der Pfad der Devotion, der Verehrung gegenüber Wahrheit und Erkenntnis. Um sie zu entwickeln, geht es darum, die gemachten Erlebnisse und Erfahrungen in sich nachklingen zu lassen und dabei zu beobachten, was als Echo im eigenen Inneren aufsteigt. Dabei kann einem auffallen, wie viele Urteile in einem wie von selbst entstehen, besonders über andere Menschen. Doch mit jedem Urteil schwindet die Möglichkeit, genauer zu sehen. Die Urteile verstellen uns den Blick. Umgekehrt erweitert sich der Horizont, wenn wir uns sagen, dass alles ganz anders sein könnte. Verbunden damit war ein wichtiger Faden dieses Jahres für mich eine neue Intensität im Erfahren der Natur. Die Erlebnisse mit ihr brachten eine starke innere Resonanz mit sich. Wie schon in der Osterzeit 2020, schien mir die Qualität des Lichtes, wie die Sonne die Erde beleuchtet, von einer nie dagewesenen Kraft und Helligkeit. Das ist für mich ein Charakteristikum der Zeit. Als würde der Himmel mit der Erde zu sprechen beginnen. In Ascona hatte ich kürzlich ein solch eindrückliches Erlebnis: Es war Sonnenuntergang am Ufer des Lago, die Sonne war schon hinter den Bergen, während sich auf dem See eine Art Lichtweg bildete, der durch einen leichten Wellengang ein tausendfältiges Lichtspiel sich bewegender Flächen entfaltete. Im Anschauen konnte ich die bewegten Lichtpunkte unmittelbar leiblich mitempfinden und entdeckte dabei, wie in diesem Zusammenschwingen die Trennung zwischen mir und der Natur unmittelbar aufgehoben wurde. Im Eins-Werden mit der Natur fühlte ich eine neue Art des ungetrennten Seins mit ihr, einzigartig! Das ist ein neues Sehen, das sich auch in der Kunst zeigt: wenn die Naturphänomene als abstrakte Formen herausgelöst werden können, weil sie aus diesem neuen Sehen erlebt wurden.


Matthias Girke

Eine Medizin für den ganzen Menschen

2021: Viele Sichtweisen begegneten sich und stehen manchmal unversöhnlich gegenüber. Daraus wächst die große Aufgabe, immer wieder von Neuem den Dialog zu suchen und zu finden. Die Kliniken sind da ein Vorbild: Therapeutische Berufsgruppen wachsen zusammen zum Wohle eines Patienten oder einer Patientin. Schwestern, Pfleger, Ärztinnen, Therapeuten arbeiten zusammen. Dieses Zusammenwirken kann eine enorme Frucht sein aus der krisenhaften Zuspitzung. Es kann eine Stärke werden. Jedes Heilen braucht Hinwendung und Mitmenschlichkeit als seelische Ebene. Es braucht auch geistige Perspektive. Viele Menschen haben mit dem Lockdown in ihrer Biografie eine Zäsur, ein Innehalten erlebt. Können wir diese Pause nutzen, um neue Perspektiven zu bilden? Anthroposophie gibt ein Licht, für innere Fragestellungen, für geistiges Suchen. Ich hoffe, dass es uns gelingt, dieser Keimkraft im neuen Jahr eine deutliche Zukunftsperspektive zu geben, zur Entwicklung einer integrativen, den gesamten Menschen einschließenden Medizin.


Jean-Michel Florin

Dem Leben auf der Spur

An Ostern 2021 habe ich auf dem biodynamischen Hof von Sekem, Ägypten, einen Kurs über Landwirtschaft für junge Menschen aus der Stadt gegeben. Sie hatten fast keine Beziehung zur Natur oder zur Landwirtschaft und haben alle Informationen aus ihrem Handy geholt. Es war so interessant, zu beobachten, was geschah, als wir täglich an Pflanze und Tier und Landschaft Beobachtungsübungen machten und biodynamische Präparate selber spritzten. Es hat Zeit gebraucht, aber mehr und mehr entwickelten sie Freude und Begeisterung und Nähe zur Natur. Sie konnten erleben, welche Freude es macht, selber etwas Neues zu entdecken, statt Fertiges zu lernen. Das gab mir den Impuls, noch mehr Kurse für junge Menschen zu geben, vor Ort und in der Praxis. Natürlich sind auch Online-Formate möglich, aber konkret in der Natur ist es immer besser. Ich habe begonnen, kleine Übungen zusammenzustellen für die Beobachtungen von Pflanzen oder Tieren, um mit möglichst vielen Sinnen dem Leben auf die Spur zu kommen. Es ist der erste und entscheidende Schritt für all die ökologischen Fragen wie Artenvielfalt und Klima und Pandemien: Haben wir eine Beziehung zur Natur? Wenn uns das Leben berührt, wächst in uns das Engagement, es zu schützen, ja, zu seiner Entfaltung aktiv beizutragen.


Ueli Hurter

Stellen wir uns in den Kreis

Mir kommt eine Situation in den Sinn: Ende August, Anfang September. Es wurde deutlich, dass sich die Corona-Situation wieder verändern würde und wir als ‹Goetheanum› in eine neue Regel hineinkommen. Heute kennen wir es als 3G. Es war große Nervosität unter uns, weil die 3G-Regel über dem lag, was wir uns als das noch Erträgliche vorstellen konnten. Die Frage war: Können wir mitgehen oder verabschieden wir uns von der Öffentlichkeit und schließen das Goetheanum? Wir sind aus dem Sitzungszimmer heraus und haben auf dem Felsi gemeinsam in einem Kreis gestanden. Jeder sagte, wie er es sieht. Diese Runde ist mir in Mark und Bein gegangen. Der klare Wille, der dabei entstand, war, dass wir das Goetheanum offen lassen wollen. Mit diesem Willensentschluss sind wir fähig gewesen, die nachfolgenden Wochen und Monate durchzuführen. Ich nehme die Kraft dieses Moments als Zukunftsperspektive. Wenn wir in der ganzen Diversität, die wir in jeder Gemeinschaft haben, uns real vorstellen können, ob wir gemeinsam weitergehen können oder auch nicht, dann werden wir entscheidungsfähig, dann werden wir handlungsfähig. In dieser kleinen Gruppe erlebte ich eine repräsentative, prototypische Situation. Daraus schöpfe ich die Zuversicht und den Mut, dass wir auch als Gesamtgesellschaft konsens- und dialogfähig bleiben.


Florian Osswald

Die Nachtseite verstehen lernen

Es gab in diesem Jahr viele Momente, die mich berührt haben. So oft war das Undurchschaubare dabei. Was mich hat nachdenken lassen, ist der Schlaf von uns Menschen, auch gerade der jungen unter uns. Viele berichteten, dass sie nicht mehr richtig und gut schlafen können. Was ist der Schlaf? Da verlieren wir ja die Kontrolle, wir geben sie ab. Ich denke, hier zeigt sich etwas: das Gefühl, alles kontrollieren zu müssen mit unserem Tagesbewusstsein und nicht vertrauen zu können auf unser Nachtbewusstsein. Wir sollten uns viel mehr der Nachtseite widmen. Dort liegen Quellen. Wenn die nicht erschlossen werden, haben wir auch keinen richtigen Tag. Wenn wir nicht richtig aufwachen am Tag, können wir auch nicht richtig einschlafen. Einschlafen und Aufwachen sind Momente, die uns als Menschen auszeichnen. Einschlafen, in einen anderen hineinschlafen, dem anderen begegnen, dem Ungewissen begegnen, all das fragt nach: Kann ich loslassen? Da ist eine Angst vorhanden. Da sehe ich soziale Fragen auftauchen, die mit dem Kontrollverlust zusammenhängen, der sich in diesem Jahr verfestigt hat. Die Distanz zum anderen ist Ausdruck davon, dass ich die Nachtseite nicht richtig ergriffen habe. Im neuen Jahr geht es mir darum, mehr mit der Nachtseite zu arbeiten, sie bewusster zu machen, sie in den Tag hineinzubringen. Ignaz Troxler, der Schweizer Arzt, sagte, wir haben ein paar Tausende Jahre den Tag erforscht, jetzt müssen wir Nachtforschung betreiben. Das ist die Zukunft! Auch Anthroposophie ist ein Eintauchen in die unbewussten Bereiche unseres Selbst. Da haben wir eine große Aufgabe, für die ich mich einsetzen will.


Philipp Reubke

Mehr Wärme!

Ein Moment hat mich besonders betroffen gemacht: Wir hatten im März eine warme Wetterlage und die Kirschblüte war besonders schön. In der Nacht vom 7. auf den 8. April brach ein ungeheurer Frost herein und am nächsten Tag waren alle Blüten braun. Ich nehme diesen Mangel an Wärme als Bild, denn es ist ein wichtiges Motiv in der Pädagogik. Wir brauchen seelische Wärme. Dafür werde ich mich einsetzen. Am gleichen Tag, am 8. April, ist der große Pädagoge und Psychotherapeut Henning Köhler gestorben. Ein Begriff von ihm liegt mir besonders am Herzen: ‹die sanfte Entschiedenheit›. Wir müssen als Pädagogen und Pädagoginnen entschieden auftreten und Grenzen setzen, Formen geben, aber sanft und liebevoll. Mars und Venus in Harmonie verbinden, das war ein Motiv von Henning Köhler gewesen, wofür wir uns in der Pädagogischen Sektion im kommenden Jahr engagieren wollen. Am 11. November diesen Jahres erschien ein Artikel in der ‹Zeit› über Elon Musk mit dem Titel ‹Sein Wille zum Glück›. Was ihn auszeichnet: Er ist ohne Angst! Er hat viele Niederlagen erlebt, ist nah am Bankrott gewesen, und doch ist er seinem unternehmerischen Ziel, eine Technik zu entwickeln, die die Menschheit überleben lässt, treu geblieben. Wir Waldorfpädagogen und -pädagoginnen möchten eine geistig-seelische Struktur zum Überleben der Menschheit zur Verfügung zu stellen, nicht nur physisch, sondern um die seelisch-geistigen Fähigkeiten zu stärken. Im Haager Kreis, der internationalen Konferenz für Steiner-Waldorfpädagogik, haben wir drei Motive gefasst, die wir mit allen Kindergärten und Schulen weltweit geteilt haben: Erstens: bessere Zusammenarbeit in der Lehrerkonferenz für die Führung der Schule; zweitens: bessere Zusammenarbeit mit den Eltern; drittens: bessere pädagogische Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen für das Leben in einer technisierten und digitalisierten Welt. Das bedeutet, mehr Wärme, mehr Kollegialität und mehr Leiberfahrung.


Justus Wittich

Überraschungen willkommen heißen

Ein entscheidendes Erlebnis des letzten Jahres war der Ausstieg aus der Routine. Plötzlich ist der Ablauf, den man sich vorgestellt hat, ganz anders. Man kann nicht planen, ist konfrontiert damit, dass Dinge plötzlich anders sind. Wir sind gezwungen, auf Sicht zu fahren. Das verlangt, sich stärker mit einer Situation zu befassen, ja eins zu werden mit ihr. Dabei kommt innerer Wille zusammen mit den Außenverhältnissen. Bleibe ich starr in einer einmal eingeschlagenen Richtung, dann fahre ich gegen die Wand, aber sich nur treiben lassen geht auch nicht. Hier entsteht eine Dynamik und es eröffnen sich andere Möglichkeiten. Im Rückblick zeigt sich deshalb 2021 als produktiver als normale Routinejahre. Man ist anders bei und mit den Dingen. Man wird in die Gegenwart hineingezogen und muss lernen, mit den Impulsen anders umzugehen als im vertrauten Leben. Es ist ein stärkeres ‹mit dem Moment sein›, als es vorher war. Es kommen Überraschungsmomente, die man vorher nicht erwartet hat. Sich diesen Überraschungen zu stellen, sie willkommen zu heißen, das nehme ich mir für nächstes Jahr vor.


Stefan Hasler

Im Leib Heimat finden

Zwei Beobachtungen haben mich besonders berührt 2021: Ich war an Corona erkrankt und entdeckte dabei, dass die Beziehung zu meinem Leib völlig anders wurde. Mein Körper war unendlich weit weg und die Erholung, um wieder eine Beziehung zum eigenen Körper herzustellen, das brauchte enorm viel Zeit. Wir haben durch dieses Jahr viele Zoomkonferenzen veranstaltet und ein Kollege hat sich den Spaß erlaubt, bei diesen Online-Meetings immer das gleiche Hemd zu tragen. Es ist niemandem aufgefallen! Unsere Beziehung zum Leib ist so anders geworden. Der Leib scheint weit entfernt zu sein und zugleich steckt man weniger in seinen Gliedern, ist merkwürdig entrückt. Das bringt mich natürlich zu unseren Berufen in der darstellenden Kunst. Wir versuchen hier mit Sprache, Eurythmie und Schauspiel die Verbindung von Geist, Seele und Leib zueinander zu steigern. Mit der Eurythmie kann ich meiner Seele eine klare Richtung geben und sie mit meinem Leib vollständig verbinden. Die Möglichkeiten waren früher auch da, aber die Aufgabe ist wie neu gestellt: nämlich mit der Eurythmie die Seele im Leib neu zu beheimaten.


Edda Nehmiz

Zu Gast in Peru

Drei Entdeckungen, worauf es anzukommen scheint, habe ich 2021 gemacht: Beweglichkeit, Orientierung, Entscheidung. Wenn wir beweglich sind, verlieren wir die innere Haltung nicht. Orientierung gebiert sich aus einer fragenden Haltung: Was ist der Zusammenhang? Was ist gültig? Mit wem habe ich es zu tun? Die Entscheidung betrifft das einfache wie große Statement: Ja, das ist mein Leben! Auch in der Arbeit von ‹Studium und Weiterbildung› spiegeln sich diese Erkenntnisse. Zudem spielt Ruhe und Inspiration eine wichtige Rolle. Menschen, besonders auch in eher prekären Verhältnissen, brauchen Orte, die dadurch entstehen, dass man sich mit etwas verbindet, was außerhalb des eigenen Horizontes liegt. Das Online-Angebot bietet diese Qualitäten und schafft zu dem einen Raum der Begegnung und Wärme. Digital sind wir dann zu Gast bei Menschen in Peru, in Ägypten, im Iran – in ihren Zuhause. So sind wir Gastgeber, die Menschen nehmen am Kurs ‹am Goetheanum› teil und zugleich sind wir zu Gast an all diesen Orten bei Menschen, die sich zugeschaltet haben. Das soll kein Corona-Wunder bleiben, dieser Kurs, deshalb gehen die Online-Angebote weiter. So ist das Goetheanum in der Welt und die Welt ist am Goetheanum.


Zeichnungen: Sofia Lismont

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