Vielleicht war es ein Engel …

Nach zweijähriger Vorbereitungszeit erklangen am Theater Basel Olivier Messiaens Franziskanische Szenenbilder in drei Akten und acht Tableaus erstmals auf einer schweizerischen Bühne. Der Abend am 28.10.2020 besiegelte vorläufig die wiederum kurze Spielzeit und entließ einen mit glühenden Bildern von Glaube, Liebe und Hoffnung. Für den Komponisten besteht Gewissheit, dass Musik in spirituellen Dingen die adäquate Sprache ist. Sie drückt unmittelbar aus, was Worte nur missverständlich buchstabieren können.


«Hast du den alten Menschen überwunden? Um zum neuen Menschen zu werden und dein wahres Antlitz zu finden»1 – solches lebt unmittelbar in Messiaens Musik und berührt das Publikum nicht allein im Kopf, sondern spricht unmittelbar zu Herz und Gemüt. Es ruft Alltagsbilder auf, die wir alle kennen, die uns tagtäglich umgeben und die wir tagtäglich sorgsam ausblenden. Postapokalyptische Bilder auf wenig ersprießlichen Supermarktparkplätzen unter Randexistenzen, ausgeschwitzt von Systemen, herabtröpfelnd von den Tischen der Globalplayer, ausgestiegen aus dem exzessiven Wachstumswahn. Die Basler Produktion versteht es mit prägnanter Bildsprache, vorhandene äußere Leere und Verdorbenheit mit innerer Glut, Freude und Hoffnung zu kontrastieren. Überall funkelt das Motiv des Phönix, der ansetzt, sich aus der Asche des Niedergegangenen zu erheben. Eine Bühne voller matter Vögel, die durch Einbezug ins Spiel der Handlung zu neuem Leben ansetzen, überall dort, wo Menschen sie dazu anstiften, sie wiederbeleben, ihnen Leben zurückgeben. Fridays for Future züngeln auf hier und dort, eine neue Generation erhebt ihre Stimme, ultimativer Appell prangt sinnbildlich in die postindustrielle Szenerie.

Foto: Theater Basel

«Du sprichst durch die Musik zu Gott: Er wird dir durch die Musik antworten.» Wenn Musik zu sich kommen darf, sich von Betriebsamkeit und Oberflächenglanz löst und zu ihren tiefer liegenden Schichten vorstößt, erfahren wir diese inneren Verbindungen zu schöpferischen Quellen und Kräfteströmen. Weitab von etablierten Konventionen und Konfessionen erklingen menschheitliche Töne und Klänge, die ein sehr tiefes Vertrauen aufleben lassen, die innere Dialoge stimulieren, die etwas tief Spirituelles in uns mobilisieren. Ein Zusammenhang von Kunst und Katharsis rückt einem auf den Leib und in die Seele und in den Sinn.

«Höre diese Musik, die das Leben auf die Himmelsleitern erhebt, höre die Musik des Unsichtbaren», erfahren wir in den über drei Stunden auf intensivste Weise, stufenweise unsere inneren Tonleitern auf- und niedersteigend, mitschwingend, einhörend. Das schmale Libretto, das sich Olivier Messiaen aus überlieferten franziskanischen Worten selbst zusammenstellte, überlastet uns nicht mit unverdaulichen Textschwaden, sondern hebt uns aus dem Alltagssprachlichen in eine erhobene Sphäre musikalischen Sprechens und Angesprochenwerdens.

Wir erfahren im Wortsinn eine ungeahnte Gnadenfülle, vor und mit uns eröffnen sich vitale Klangräume, erfüllt auch mit Vogelstimmen aller Arten, mit exotischen Instrumenten, ungewohnten Klangdimensionen. Überwältigt von dieser himmlischen Musik enthüllt sich uns etwas von dem, was mit neuer, erweiterter Bewusstheit bezeichnet werden könnte. Wir steigen erweckt und erfüllt aus diesem Klangkosmos und nehmen ihn mit in unsern Alltag, ins tägliche Leben, mitten in die Covid-19-Zeit und all ihre Irritationen.

«So wunderbar zu singen, dass ihr ohne Worte sprecht, wie in der Sprache der Engel, allein durch die Musik.» Die göttliche Stimme erklingt allein durch den Chor aus höheren Sphären. Im Schnürboden verteilt, hüllt der Chor immer wieder das Ganze ein wie durch eine periphere Klangsphäre, die einen mit dem kosmischen Umkreis verbindet. «Der Gesang von jenseits des Fensters», heißt es in franziskanischen Worten, und diesen Gesang erlebt man als Publikum wiederholt an diesem denkwürdigen Abend. In der Originalpartitur werden an die 120 Orchestermusiker gefordert, für Basel wurde eine reduzierte Fassung durch Oscar Strasnoy für 45 Musiker erstellt, ohne Eingriffe in die musikalische Substanz. Die Wirkung ist hinreißend, da in der quasi Kammermusikfassung Messiaens Musik in gesteigerter Transparenz und Durchhörbarkeit erscheint und dadurch an Aktualität und neuen Dimensionen gewinnt.

Eine schier unbändige Tröstlichkeit geht von diesem größten Werk Olivier Messiaens aus, eine Kraft, die wie für diesen historischen Moment einer globalen Pandemie geschaffen zu sein scheint und einen ermutigt entlässt im Sinne von: «Bald schon wirst du die Musik des Unsichtbaren hören.»

Messiaen erklärte auf die Frage, woher er seine Religiosität habe: «Ich bin gläubig geboren.» Sein Gesamtwerk wurde zum Ausdruck solch spiritueller Religiosität und das Werk ‹Saint François d’Assise› vermag diese Kraft aufblühen zu lassen, denn «Musik und Poesie haben mich in deine Nähe geführt» und sie nehmen auch uns mit auf.

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Footnotes

  1. Alle Zitate stammen aus Messiaens Libretto.

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