Und hätte die Liebe nicht

Die älteste Form des Zusammenarbeitens bringt, so Herbert Salzmann in diesem Goetheanum, die Pyramide ins Bild: Einer oder eine sagt, wo es langgeht. «Ich sag euch, was ihr jetzt macht – und wenn ihr das nicht macht, dann sag ich euch, was ihr dann macht», karikierte der Clown Nögge mit cholerischem Ausdruck dieses auf Autorität beruhende Leitungsprinzip und zeigte zugleich, wie sehr es sich überlebt hat.


Dann folgt eine Netzstruktur, die immer noch an die Pyramide erinnert. An die Stelle von Chef und Chefin treten Regeln und Gesetze. Erst mit dem dritten Schritt, von Herbert Salzmann als Kreis beschrieben, werde eine Gemeinschaft frei. Wer oder was leitet hier? Er nennt es die ‹Verantwortungskultur›. Was Gehorsam gegenüber Autorität und Regeln war und durch Kontrolle sich zementiere, werde in der freien Zusammenarbeit Eigeninitiative und aus Kontrolle werde gegenseitiges Verantworten.

‹Eigeninitiative› aus Einsicht wird in der freien Zusammenarbeit zum Motor. Sie stößt das Tor zur Entfaltung jedes Einzelnen auf. Anders sieht es mit dem gegenseitigen Verantworten aus. Denn das bedeutet, sich gegenseitig auf blinde Flecken, Steckenpferde und Schwächen hinzuweisen. Vor allem wenn eine Gemeinschaft hohe Ideale teilt, fällt das schwer, denn Kritik wird dann als Vorwurf erlebt, von den Idealen abgefallen zu sein. Die Freiheit der Gemeinschaft fällt in Unverbindlichkeit. Sich als Gemeinschaft des gemeinsamen Ideals zu versichern, einen Stern, ein Leitbild aufzurichten, gibt dem Kreis Gestalt. Lebendigkeit und Kraft – als Strahlung nach außen, als Wärme nach innen – gewinnt er, wenn jeder und jede Vertrauen und den Mut fasst, auf- und füreinander zu schauen. Wie entwickeln wir Vertrauen und Mut? Durch Liebe und ihre kleine Schwester: Interesse. Wie schön: Freiheit ruft nach Liebe.


Zeichnung Empfindungsseele, Adrien Jutard, Kohlezeichnung, 2022.

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