Neulich stand ich mit Freunden vor einem Bild von Lucas Cranach im Schloss Friedenstein in Gotha. Es zeigt Christus und Maria, aus schwarz-transparentem Hintergrund auftauchend wie aus dem Äther. Gemalte Büsten, deren Gewänder genauso zart-schwarz sind. Maria ist jung und nicht die Mutter Gottes, sondern die andere. Christus hat eine Präsenz, die in uns wohl nur der Schmerz zu erzeugen vermag. Zwei Antlitze blicken uns an, wie wir dabei sind, sie zu betrachten. Anschauungsspiegelungen also. Ich habe keine Angst, ich fühle mich sicher bei ihnen, sie werten nichts und vernehmen doch alles. Sie kennen alle Winkel von uns und sehen doch jedes Mal wieder neu, wie wir beginnen zu sehen, zu fühlen, zu verstehen, zu fragen. Er schaut direkt, während sie wie in sich hineinlauscht und die inneren Regungen schauend erfühlt. Es wirkt, als sei ihrer beider Blick zusammen zu einem Leib geworden. Ein Anschauungsleib? Während wir staunen und sprechen, kommt es zu einem reizenden Versprecher, der sich nicht zufällig zu ereignen scheint, wenn auch völlig unbewusst. Wir sprechen über irgendetwas, was auf die unbefleckte Empfängnis zuläuft, aber herauskommt die ‹unbefleckte Erkenntnis›. Ein kurzweiliges Staunen erheitert uns, während sich erst später der Kristall zeigt. Was, zum Himmel, kann das denn sein? Sind unbefleckte Erkenntnisse vielleicht gar zukünftige Erkenntnisse, weil sie in Gemeinschaft sich gegenseitig und selbst sehender, fühlender und dabei anschauender Menschen auftreten? In und an dir und mir empfangen-empfunden-gefunden.
Bild Christus und Maria, Lucas Cranach d.Ä., Stiftung Schloß Friedenstein Gotha / Herzogliches Museum