Die Erzeugung tierischer Produkte wird als klimaschädlich kritisiert. Als Alternativen werden zellkultivierte Produkte beworben, die in vitro aus Tierzellen erzeugt werden. Sind diese wirklich klimaneutraler und was ist der Preis – vital, seelisch und geistig?
Diese ‹zelluläre Landwirtschaft› erzeugt tierische Produkte in Bioreaktoren1. Für die Herstellung wird kein Hof benötigt, vielmehr gewebespezifische Stammzellen, die lebenden Tieren entnommen und in Nährmedien gezüchtet werden. Die Nährmedien selbst sind industriell hergestellte, hochkomplexe Gemische aus Fetten, Proteinen, Hormonen, Vitaminen, Signalmolekülen und Wachstumsfaktoren. Letztere werden häufig aus dem Nabelschnurblut von Rinderembryonen gewonnen. Weil die Gewinnung fragwürdig ist, stammen sie inzwischen aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen oder aus Pflanzen oder Algen2. So wächst aus einzelnen Tierzellen Fleisch heran. Über 100 Unternehmen forschen weltweit an Laborfleisch3. In Singapur ist das erste Laborhühnchenfleisch auf dem Markt, das 2023 auch in den USA zugelassen wurde. Neben Fleisch werden weitere tierische Produkte wie Milch oder Fisch im Labor erzeugt. «Nachhaltig, ressourcenschonend, dem Tierwohl dienend, sicher» – mit vielversprechenden Aussagen werben die Produkte.
Wenige und unvollständige Daten
Weil Methan um ein Vielfaches klimaschädlicher ist als CO2, wird dessen Verringerung als wichtiger Vorteil von Laborfleisch im Vergleich zur herkömmlichen Tierhaltung angeführt. Die Studie von Chriki et al. (2022) zur Frage, ob Laborfleisch eine Alternative zum Schlachten von Tieren ist, zeigt jedoch, dass dieses Argument nicht ausreichend untersucht ist.4 Zellkultiviertes Fleisch hilft zwar, die globale Erwärmung kurzfristig zu vermeiden, weil kein Methan entsteht. Längerfristig könnte es jedoch schädlicher sein, weil das im Produktionsprozess entstehende Kohlendioxid länger in der Atmosphäre verweilt5. Insgesamt erfolgt die Herstellung von Laborfleisch noch in zu geringen Mengen, als dass aussagekräftige Daten erhoben werden könnten. So hat der erste Rindfleisch-Burger aus dem Labor 250 000 Euro gekostet.6 Des Weiteren ist nicht transparent, wie die Ökobilanz von Laborfleisch aussieht, vor allem, ob die industrielle Herstellung des Nährmediums in die Berechnungen einbezogen wird. Zur Erzeugung von 1 Kilogramm Rindfleisch benötigt man ca. 550 Liter Wasser im Vergleich von bis zu 521 Liter für 1 Kilogramm Laborfleisch.7 Der Wasserfußabdruck ist also ähnlich hoch. Zudem kostet die Herstellung von Laborfleisch viel Energie. Vergleichbare Zahlen gibt es hier noch nicht. In Bezug auf den Flächenbedarf ist es offensichtlich, dass Laborfleisch weniger Land benötigt. Hierbei führt die Übersichtsarbeit jedoch an, dass die Bedeutung der Tierhaltung für die Umwelt, die Landschaftspflege und die Bodenfruchtbarkeit bei diesem Vergleich berücksichtigt werden sollte.8 Auch das Argument, dass Laborfleisch tierfreundlicher ist, gilt es kritisch zu betrachten. Wie werden die Tiere, die als Stammzellen-Spender fungieren, gehalten?
Was Kühe einem Hof geben
In der biodynamischen Landwirtschaft gehört das Tier, insbesondere die Kuh, zum Hof. Sie frisst das hofeigene Futter und liefert nicht nur wertvolle Nahrungsmittel, sondern auch hochwertigen Dünger: Der Mistkompost ist die Grundlage für die Bodenfruchtbarkeit. Auch ist die Tierhaltung bodengebunden.4 Dies bedeutet, dass die Anzahl der Tiere an die Boden- und nicht an die Stallkapazität angepasst ist. Es werden nur so viele Tiere gehalten, wie der Hof mit selbst erzeugtem Futter versorgen kann. So fallen Futtermittelimporte weg. Gleichzeitig entsteht nur so viel Mist, wie der Boden aufnehmen und umwandeln kann. In einem solchen Kreislauf wird alles bestmöglich wiederverwertet.9 Das Wohl der Tiere und auch die Gesundheit des Bodens stehen im Vordergrund. All dies wirkt sich positiv auf die Qualität der Nahrungsmittel aus. Sie spiegelt die Tierhaltung und -gesundheit, aber auch die Fütterung, den Pflanzenbau und den Hof mit den Menschen im Gesamten wider. Solche Produkte nähren und regen die Sinne an. Ein Lebensmittel aus dem Labor hingegen ist ohne Geschichte. Es ist in einer Umgebung ohne äußere Reize gezüchtet und hat stets konstante Inhaltsstoffe. Essen wir achtsam und schulen unsere Sinne, können wir die unterschiedliche Wirkung von Nahrungsmitteln wahrnehmen. Laut Studien sei der Geschmack eines Laborproduktes ähnlich wie der eines durchschnittlichen Naturproduktes, doch wie wirkt es wirklich auf uns – über den Geschmack hinaus?
Was Vielfalt bedeutet
In vitro hergestellte Produkte werden in vollständig kontrollierter Umgebung produziert und dadurch als ‹sicher› beworben, das heißt, sie sind frei von jeglichen Kontaminationen und Krankheitserregern. Es werden nur Nährstoffe hinzugegeben, die bekannt sind. Die biologische Vielfalt und die unzähligen Kompositionen an Stoffen, die in der Natur vorkommen, sind in diesen Produkten nicht enthalten. Es entstehen stattdessen Produkte, die nur aus isolierten Substanzen bestehen. Bei dieser Art der Nahrungsmittelherstellung wird davon ausgegangen, dass Lebensmittel allein Nährstoffe enthalten und vor allem dass nur Nährstoffe uns ernähren. Blicken wir mit dieser Annahme in die Zukunft, könnte man sich eine Ernährung aus einem synthetischen Einheitsbrei vorstellen, der mit einem 3D-Drucker in eine gewünschte Form gepresst wird. Wollen wir auf die Vielfalt an Farben, Formen und Aromen aus echten Lebensmitteln, die eine Biografie und einen eigenen Charakter haben, verzichten?
Lebendige Umgebung für lebendige Nahrungsmittel
Reduzieren wir Nahrungsmittel nicht auf ihre Inhaltsstoffe, sondern betrachten wir sie mit ihrem Potenzial, uns anzuregen, wird deutlich, dass es eine lebendige Umgebung braucht, damit gesunde Nahrungsmittel entstehen können. Die Beziehung zwischen Natur, Tier und Mensch wird in der Bio- und biodynamischen Landwirtschaft gepflegt. Die Menschen sind dabei die aktiv Gestaltenden, zum Beispiel durch ihre Lebensmittelauswahl. Kaufen wir Fleisch von Tieren aus Massentierhaltung, sagen wir ja zu dieser Haltungsform. Genauso sagen wir ja zur Entfremdung vom Lebendigen, wenn wir Laborfleisch befürworten. Die Frage, ob unsere Nahrungsmittel zukünftig aus dem Labor stammen, ist nicht nur eine Frage der Nahrungsmittelherstellung, sondern nach unserer grundlegenden Haltung zur Natur, zu Pflanzen und Tieren und zu uns selbst. Wollen wir uns immer weiter entfernen oder sehen wir uns als ein Teil des Ganzen, mit dem wir verbunden sind und uns weiter verbinden wollen?
Foto The Meat Revolution, Mark Post. First cultured hamburger unfried. Quelle: commons.wikimedia.org
Footnotes
- Fleisch aus Zellkultur kommt auf den Markt (1.3.2024)
- G. Willinger, Fleisch aus der Retorte. In: Spektrum der Wissenschaft 4, 2024, S. 44–49.
- Fleisch aus Zellkultur kommt auf den Markt (1.3.2024)
- S. Chriki, M. P. Ellies-Oury, J. F. Hocquette, Is ‹cultured meat› a viable alternative to slaughtering animals and a good comprise between animal welfare and human expectations? Animal Frontiers 1 2022, S. 35–42, (20.08.2024)
- S. Chriki, M. P. Ellies-Oury, J. F. Hocquette, Is ‹cultured meat› a viable alternative to slaughtering animals and a good comprise between animal welfare and human expectations? Animal Frontiers 1 2022, S. 35–42, (20.08.2024)
- Fleisch aus Zellkultur kommt auf den Markt (1.3.2024)
- S. Chriki, M. P. Ellies-Oury, J. F. Hocquette, Is ‹cultured meat› a viable alternative to slaughtering animals and a good comprise between animal welfare and human expectations? Animal Frontiers 1 2022, S. 35–42, (20.08.2024)
- S. Chriki, M. P. Ellies-Oury, J. F. Hocquette, Is ‹cultured meat› a viable alternative to slaughtering animals and a good comprise between animal welfare and human expectations? Animal Frontiers 1 2022, S. 35–42, (20.08.2024)
- L. Maschek, Kuh und Klima – eine Frage der Haltung. In: Fonds Goetheanum 1–3, (1.3.2024)