Die Werke des Künstlers und Architekten Christian Hitsch werden momentan in einer Ausstellung am Goetheanum gezeigt. Zu finden ist ein Ausdruck von Liebe für alles Lebendige und die Hinwendung zum Schöpferischen selbst.
Die Ausstellung zeigt Skulpturen, Modelle und Zeichnungen aus der 40-jährigen Schaffenszeit des Bildhauers und Architekten Christian Hitsch (geb. in Österreich und wohnhaft in Dornach). Neben rund 40 plastischen Arbeiten aus Bronze, Eisen, Stein und Holz sind Architekturmodelle sowie eine kleine Anzahl Landschaftszeichnungen und Auszüge aus seinen Skizzenbüchern zu sehen. Was in vielen kleinen Skizzen und Modellen keimhaft angelegt ist, verwirklicht sich voll und dicht in Stein und Bronze. Es sind Bildhauerwerke, die die Lebenswirklichkeit betonen und den Betrachter zu einem aktiven Miterleben der Bildekräfte, Formgesten und Zwischenräume auffordern.
Der erste Blick
Schon auf dem Weg zur Ausstellung durch die Wandelhalle wird mein Blick gepackt: Ein großes, kreisrundes Marmorrelief unterbricht meinen Gang. Schneeweiß und kristallin funkelt es mir entgegen und bald darauf erkenne ich die fein herausgearbeiteten Formen. Leicht und licht quillt die eine aus der anderen hervor. Ein Reigen an herausgearbeiteten Elementen – mit dem Spitzmeißel wohl bemerkt – zeigt uns das Werden, die Verwandlung und das Vergehen im Leben einer Pflanze.
Der Ausstellungsaufbau in der ersten Etage ist noch in vollem Gange, als ich in die Ausstellungsräume komme. Die bereitgestellten Skulpturen auf roten Sockeln stehen nah beieinander, die Vitrinen dicht und voll mit plastischen Modellen. Eine ungeahnte Fülle kommt mir entgegen. Ich bin sprachlos und halte inne: Formen, Gesten, Bewegungen und rechts an der Wand ein Weben in Hell-Dunkel. Es ist wohl dieser erste Moment der Begegnung, in dem man vieles weiß, was man später wieder vergisst.
Der zweite Blick
Die Formen, die hier ausgestellt sind, wurden von einer Menschenhand geschaffen, die sich unermüdlich forschend und bildend mit Formentstehung und den dem Lebendigen zugrunde liegenden Bildekräften beschäftigt hat. Es wiederholen sich Gesten der Formdurchdringung, immer wieder die doppelt gebogene Fläche oder zwei sich begegnende Elemente, die einen Zwischenraum schaffen. Auffallend ist, wie der Künstler die Vielfalt verschiedener Bewegungsmomente in einer Form zusammenfasst. Durch diesen vorübergehenden Moment der Vereinigung zweier Gegenkräfte in einer Form wird die Skulptur in eine Spannung gebracht, was dem Werk Leben einhaucht. Verfolgt man die einzelnen Flächen von ihrer Anlage her, so bemerkt man, dass die Form nicht da zu Ende ist, wo sie physisch aufhört, sondern sich weiter imaginär in den Raum ausdehnt bzw. von weither sich am Stoff manifestiert. Besonders schön kommt dies an den Plastiken zur Geltung, die in sich eine Durchkreuzung zweier Diagonalen zeigen. Durch das innerliche Ausdehnen ihrer Gebärden wird gleichzeitig das empfangende Hinaufragen derselben in die Sternenwelt wie das Hinuntertragen der Kräfteströme auf die Erde erlebbar.
Da, wo nichts ist
In Christian Hitschs Arbeiten finden wir immer wieder einen Durchbruch oder einen Raum zwischen zwei Elementen. Da, wo physisch nichts ist, lohnt es sich, etwas länger zu verweilen. Im Hineinschauen ins Nichts beginnt der Blick sich nach den umhüllenden Formen, nach links und rechts zu orientieren. Der Betrachter schafft dadurch ein Verhältnis und ein vermittelndes Drittes, was sich im Innern des Menschen als Empfindung gebären kann. Das kennen wir auch von der Musik: Wir hören zwei aufeinanderfolgende Töne, ein Intervall. Das Intervall selbst hören wir aber nicht im Raum, nicht in dem einen noch dem anderen Ton, sondern wir bauen innerlich eine Brücke, unsere Seele beginnt ‹hörend› zu sein.
Christian Hitsch hat viele sich metamorphosierende Formen gestaltet, leitet die eine Form zur nächsten und schafft eine Beziehung zwischen den beiden Polen. Für Hitsch sind diese Zwischenräume elementar. Er sagt, im ‹Dazwischen› beginnt die Empfindung, die vierte Dimension.
Das Vergehen im Entstehen
Innere Erlebnisse expressiver Art sind im ‹Blauen Raum› zu sehen. Es sind, so der Künstler, Motive aus dem eigenen Traumerleben, Imaginationen. «Die imaginative Welt hat die Eigenschaft, dass sie im Entstehen schon wieder verschwindet und dass sie beim Verschwinden schon wieder entsteht bzw. nicht stofflicher Art ist. Hier braucht es die Aufmerksamkeit, die Bilder sofort einzufangen, ehe sie schon wieder weg sind.»
Doch kann ein Bildhauer überhaupt etwas Nichtstoffliches dem Stein einprägen? Rudolf Steiner hat in der Glaskunst gezeigt, wie sich in den Schraffuren der Gläser die Lichtqualitäten ändern und das Sonnenlicht selbst das Vergehen und Entstehen hervorzaubern kann. Er hat damals aus der Not heraus Techniken entwickelt, um genau dieses Werden und Schwinden zur Darstellung zu bringen, um die imaginative Welt in einem gewissen Sinne ins Sinnliche herüberzuholen. Die Schichtmalerei entstand vor diesem Hintergrund. Auch sie fordert einen Blick, der die Wände auflöst. Es wird so gestaltet, dass man etwas sieht, aber kaum hat man es erfasst, leuchtet schon etwas Nächstes, Neues herein. Durch diese Techniken können wir die Wahrnehmung, die das Stoffliche auflöst, üben und uns auf das über dem rein Sinnlichen Liegende einstimmen. So sind auch Hitschs Bildhauerwerke Suchbewegungen auf diesem Felde.
Der Kuhblick
Christian Hitsch war als Sektionsleiter der Bildenden Künste durch seine Aufgaben bedingt viel auf Reisen. Er erzählt, wie er immer wieder versucht hat, die Reisen mit Zug und Schiff zu entschleunigen, um unterwegs zeichnen zu können. Das Zeichnen half ihm, an den verschiedenen Orten anzukommen. Dabei ging es ihm nicht darum, die Landschaften abzuzeichnen, sondern in der Landschaft zu verweilen und mit ihr ins Gespräch zu kommen. Die ausgestellten Skizzen sind als Ergebnis eines Dialogs zu verstehen. Sie sind aus dem Hell-Dunkel und aus den Dingen selbst entstanden. Gemäß Hitsch sollte sich der Zeichner den Blick einer Kuh aneignen – ein Blick, der nicht fixiert und immer etwas daneben oder rundherum schaut. Dieses ‹Danebenschauen› sei wichtig, um sich mit dem Ätherischen verbinden zu können. Die wunderbare Oberflächenbearbeitung in den Marmorskulpturen fördert diesen ‹Umraumblick› und regt dazu an, das Stoffliche im Schauen aufzulösen.
Den Skizzen ist auch Christian Hitschs Liebe für das Wolkenspiel und Goethes Witterungslehre abzulesen. Hier fügt der Künstler hinzu: «Wieder geht es nicht darum, Wolken abzuzeichnen, denn dies ist schier unmöglich in ihrer schnellen Veränderung, nein, es geht darum, selbst zu ‹wolken›.» Auch während anthroposophischen Vorträgen hat Christian Hitsch viel aus der Atmosphäre heraus gezeichnet, im Gespräch mit den Inhalten. Resultate davon sind in den ausgestellten Skizzenbüchern zu finden.
Neben seinem bildhauerischen Werk verwirklicht Christian Hitsch weltweit organische Bauten, von denen wir kleine Modelle in Plastilin oder Bronze in den Vitrinen sehen. Aktuell ist er im Bauprozess eines Kindergartens und einer Schule mit dazugehöriger Moschee in Ägypten. Der Waldorfkindergarten ist bereits eröffnet. Weitere Projekte sind in Planung. Bilder von u. a. diesem Schulprojekt sind in der Ausstellungsmappe zu sehen. Viele der ausgestellten Modelle wurden umgesetzt. Andere, wie z. B. der Entwurf für den Umbau und die Sanierung der Schreinerei mit separatem Museum, blieben bis jetzt Ideenskizzen des Künstlers.
In Architektur, Skulptur und Zeichnung bringt Christian Hitsch eine unermessliche Fülle an Formkraft, Schaffensdrang und fortwährendem Streben um ein ‹Gleichgewicht im Dazwischen› zum Ausdruck. Die Ausstellung am Goetheanum zeigt dies erstmalig in einer so umfassenden Weise. Viele der Werke können uns Wege werden zum Miterleben des Ätherischen und sind Ausdruck der Liebe für alles Lebendige und die Hinwendung zum Schöpferischen selbst.
Ausstellung ‹Streben nach Gleichgewicht. Skulpturen und Zeichnungen von Christian Hitsch›, 28. Dezember 2019 – 15. April 2020, 9 bis 22 Uhr, Wandelhalle und 1. Stock
Titelbild: Modell für eine Plastik auf einem Kreisverkehr. Raumübergreifend. Bronze. Foto: B. Schnetzler