Mit der Welt zusammenkommen aus der Entfremdung, in der man sich heute findet, – das bedeutet eine Umwendung, eine Verwandlung zustande zu bringen.
In seiner Dissertation über Goethes naturwissenschaftliches Erkennen sammelt Jost Schieren Goethes Hinweise zu dieser inneren Transformation. Ich habe sieben Blickrichtungen in diesem Buch von 1998 gezählt und dabei als mittlere Station die ‹Stille der Vorstellung› gefunden. Dort zitiert Jost Schieren aus ‹Goethes naturwissenschaftlichen Schriften›:
«Der Mensch erfreut sich nämlich mehr an den Vorstellungen als an der Sache, oder […] nur einer Sache, insofern er sich dieselbe vorstellt, sie muss in seine Sinnesart passen. Und er mag seine Vorstellung noch so hoch über die gemeine erheben […], es bleibt doch gewöhnlich nur eine Vorstellungsart.»
Ein Sprichwort pointiert es: ‹Ein Hammer sieht nur Nägel.› Die Vorstellung, die Idee von etwas ist tatsächlich ein zweischneidiges Schwert, sie öffnet und konzentriert den Blick und verstellt ihn sogleich wieder, denn die Vorstellung stellt sich vor die Beobachtung. Wer weiß, braucht nicht schauen. Es gehört zur Stärke der Anthroposophie, dass sie zu so vielen Vorstellungen entgegengesetzte liefert, wie: ‹Nicht weil die Eltern sich finden, kommen Kinder auf die Welt, sondern weil Kinder auf die Welt kommen wollen, finden sich Eltern.› Goethes Forderung, in den Vorstellungen still zu werden, verlangt deshalb, selbst die ‹sinnstiftenden Deutungsangebote›, die Helmut Zander als letzten Satz in seinem jüngst erschienenen Buch der Anthroposophie zuschreibt, beiseite zu legen. Es verlangt, sich nicht auf das einzulassen, was man weiß, sondern auf das, was man sieht. Die Johanni-Stille lädt dazu ein, auf die Natur und die Kultur so zuzugehen.
Jost Schieren Anschauende Urteilskraft – Methodische und philosophische Grundlagen von Goetheas naturwissenschaftlichem Erkennen. Düsseldorf 1998
Illustration von Adrien Jutard