Am 3. Advent traf ich im Zug eine nicht mehr ganz junge Frau, die über ihrer roten Wollmütze eine dezente Affenmaske trug, und natürlich den Mund- und Nasenschutz im Gesicht. Sie wirkte nicht aggressiv und meine ethnologische Neugierde gewann die Oberhand. So entwickelte sich ein Gespräch, das ich nicht aufgezeichnet habe, aber hier wiederzugeben versuche.
Warum tragen Sie diese Affenmaske?
Weil ich mich wie ein Äffchen fühle. Ich kann nicht mehr unterscheiden, was wahr und was Lüge ist. Ich fühle mich nicht mehr als Mensch wahrgenommen und muss allerhand Kräfte aufbringen, um mich selbst als ein solcher wahrzunehmen.
Ist die Maske ein Protest?
Ich will damit nicht provozieren. Ich will auch nicht sagen, dass irgendjemand sich zum Affen macht, auch wenn eine solche Deutung naheliegend sein könnte. Aber schlussendlich mache ich mich ja selbst zum Affen, wenn ich öffentlich mit einer Kindermaske auf dem Kopf rumrenne. Ich fand die Maske und hatte das Gefühl, wenn ich die trage, könnte sich ein Gesprächsraum eröffnen. Es gab noch eine Katzenmaske, mit der ich wahrscheinlich nur als eine schrullige Alte angesehen werden würde. Der Affe ist ein dezenter Spiegel für mich selbst und für jeden, der ihn als solchen wahrnehmen kann.
Ein Spiegel wofür?
Um zu hinterfragen, wer ich selbst bin und sein will, wie ich mit Menschen umgehen will, wie ich mich in der derzeitigen Situation in unserer Gesellschaft verhalten will, wozu ich mich positioniere. Ich kann nicht logisch sagen, warum ich das Gefühl hatte, die Maske tragen zu wollen. Es war eher eine Ahnung, ein Ausprobieren, vielleicht eine Kunstaktion?
Wie erleben Sie die Spaltung durch Corona?
Mein Eindruck ist, dass wir uns in dem argumentativen Diskurs, wie er seit fast zwei Jahren geführt wird, nicht mehr begegnen können. Argumente prallen aufeinander und verhärten die Fronten. Jene, die einer Meinung sind, egal, welcher Seite sie angehören, solidarisieren sich aufgrund einer Überzeugung und nicht, weil man sich wirklich darin in der Ganzheit seines menschlichen Daseins sehen will. Wir kommen gerade schwer in ein gemeinsames Suchen, das uns als Wir erleben lässt. Jedes Argument, jeder Fakt, jede Statistik kann je nach ‹Glaubensrichtung› so oder so ausgelegt und für die eigene Überzeugung genutzt werden. Das ist zumindest mein Eindruckund meine Verzweiflung.
Sind Sie geimpft oder ungeimpft?
Auf diese Frage will ich bewusst nicht antworten. Sie würde je nach Überzeugung wieder genau den eben beschriebenen Mechanismus aktivieren. Ich würde einer Seite zugeordnet werden und damit wäre schon das Fenster des Gesprächs wieder halb verschlossen. Ist es wichtig, dass ich diese Frage erst beantworten muss? Kommen wir nicht mehr darüber hinaus? Ich will nicht darauf reduziert werden. Damit geht alles Leben weg, alles, was sich als mir Neues in einer Unterhaltung ergeben kann. Und darin liegt eine Degenerierung des Menschseins. Die lassen wir gerade zu, bewusst oder unbewusst.
In der Ethnologie spielen Masken eine große Rolle. Sie dienen archaischen Völkern als Sprachrohr der Geister. Wie erleben Sie die Wirkung Ihrer Affenmaske?
Ich fühle mich schon ein bisschen seltsam, wenn ich mit ihr durch die Straßen laufe und registriere, dass ich zum Beispiel aus Autos angeschaut werde, ohne dass ich weiß, was die Menschen über mich denken, ob sie irritiert sind oder empört. Ich trage die Maske jetzt auch erst seit einer Woche und zu vielen Gesprächen ist es noch nicht gekommen. Die wenigen, die ich hatte, waren positiv. Eher so auf der Ebene von ‹aha›. Ich will damit nicht überzeugen von irgendwas. Aber tatsächlich will ich einen Bilderraum aufsuchen. Denn das Bild des Menschen als Virusträger, als belastet und potenzielle Gefahr, verhindert Wir. Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der ich vor anderen Menschen Angst haben muss. In Ihrer ethnologischen Erklärung wäre die Affenmaske ein ‹hohler› Geist, der ermöglicht, selbst zu entscheiden, wie wir miteinander sprechen wollen, wie wir einander begegnen wollen.
Wenn ich Ihnen das jetzt so sage, habe ich gleich schon wieder Angst, was ‹Kritiker› sagen würden: esoterische Tante oder Querdenkerin oder naiv. Damit bin ich gleich schon wieder mundtot. Wir können gerade nicht mehr sprechen außerhalb von Corona-Positionen. Das macht mich fertig, traurig. Das ist es doch, was uns so zersetzt gerade. Die Ohnmacht, die Verzweiflung, dass wir uns nicht mehr zuhören können, aus Angst, aus Rechthaberei, aus der Unfähigkeit, in Verschiedenheit trotzdem zusammen sein zu können.
Da wähle ich lieber den Affen auf dem Kopf, schweige und lasse los, lasse jeden damit machen, was er machen will oder nicht.
Wie kommen wir aus der Argumentenschlacht raus?
Anstatt uns die Zahlen und Fakten hin und her zu schieben, uns Corona-Tote oder Bettenabbauzahlen vorzusetzen und dann in stumpfes Schweigen zu verfallen, weil man dem nichts entgegensetzen kann, lieber fragen, was bedeutet für dich Solidarität? Was erlebst du in der Spaltung? Was wünscht du dir für einen menschlichen Umgang? In der Logik der Argumentation erlebe ich real, dass ich allein bin, dass alle Gemeinschaft, die ich meinte zu kennen, alles vermeintliche Sich-einig-Sein, gar nicht existiert, sondern ich immer allein bin mit meinen Gefühlen, Gedanken, Sichtweisen, Fragen. Das macht mir schon auch Angst. Aber ich will da nicht stehen bleiben. Und bitte, ich meine nicht, dass Corona nicht existiert oder nicht als gefährlich eingestuft zu werden braucht. Mir geht es darum, wie wir uns in den letzten zwei Jahren entwickelt haben, wohin uns die Pandemie gebracht hat und dass es neben den Maßnahmen zur direkten Vorbeugung von Gefahren auch Maßnahmen braucht, die uns als Menschengemeinschaft zusammenhalten. Ich habe mittlerweile mehr Angst vor den ‹Wirkungen des Virus› im Sozialen als im rein Biologischen. Und ich habe keine Antworten parat.
Was wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir den Raum danach. Vielleicht hat es den vor Corona auch noch gar nicht wirklich gegeben. Aber ich will leben, mit dem echten Dreck und der echten Schönheit, in Unmittelbarkeit und Freude. Ich will nicht aufgerieben werden zwischen Fronten, nicht untergehen im Abgrund der Spaltung.
Und wohin sind Sie gerade unterwegs?
Ich fahre zu einer kleinen Plätzchentauschparty. Eine Handvoll Menschen, geimpft und ungeimpft, die ein paar Adventslieder singen werden zusammen.
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