Solidarische Landwirtschaft und Dreigliederung

Der städtische Bioladen, von dem hier die Rede ist, gehörte zu den ersten in der Schweiz. Er fühlte sich den Bauern und Bäuerinnen besonders verbunden und erarbeitete mit ihnen zusammen Anbaupläne. Er versuchte, ihnen auch bei der Überschussverwertung behilflich zu sein.


In jenem Frühsommer Mitte der 1980er-Jahre ging es um Tomaten. Die jährliche Tomatenschwemme sollte aufgefangen werden. Der Laden ließ die Kunden Bestellungen machen. Viele Familien trugen den Samstag in ihren Kalender ein und holten Einmachgläser aus dem Keller. Alle waren bereit, nur das Wetter machte nicht mit. Es blieb kühl, die Sonne zeigte sich nur selten und die Tomaten blieben grün. Was tun? Eine Absage der Verwertungsaktion kam nicht infrage. So nahm der Laden Kontakt mit dem Regionalverteiler auf. Dieser beschaffte die bestellte Menge Tomaten in anderen Landesteilen, die von der Sonne besser berücksichtigt worden waren. Die Einmachaktion konnte stattfinden.

Weshalb dieses Beispiel? Es soll für eine der Funktionen stehen, die in der Mitte zwischen Produktion und Konsum angesiedelt sind: für den Ausgleich. Ausgleich, das Merkuriale, ist eine wichtige Funktion jeder Mitte und jeder Dreigliederung, im Sozialen wie im Organischen. Während die Funktion des Ausgleichs im herkömmlichen Lebensmittelhandel gut funktioniert, gibt es andere Aspekte, die hier viel weniger befriedigen.

An dieser Stelle setzen Solidarische Landwirtschaft beziehungsweise CSA (Community Supported Agriculture) an. Dieser Ansatz, der viele Menschen mit der Landwirtschaft verbindet, führt zu Verständnis und gefühlsmäßiger Verbundenheit. Konsumentinnen und Konsumenten sind durch ihr Erleben bereit, mit oft höheren Preisen oder Verzicht auf bestimmte Qualitätsstandards, die Höfe mitzutragen. Das hat viel mit Solidarität beziehungsweise ‹Community Support› zu tun. Doch was hat es mit Dreigliederung zu tun, wenn die Zirkulation, wie Rudolf Steiner dies im ‹Nationalökonomischen Kurs› nannte, gleich auch noch vom Hof oder allenfalls von Konsumentinnen und Konsumenten (unter Inkaufnahme unzähliger Autokilometer) wahrgenommen wird? Da müsste doch eher von ‹Zweigliederung› gesprochen werden.

Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn diese Organisationsform der Landwirtschaft und ihres Absatzes in sympathischen Beschreibungen dargestellt wird. Es ist dann aber einiges zu kritisieren, wenn ein Modell wie eine Lösung für das Ganze daherkommt, aber nur bestimmte Aspekte abdeckt. Gerade wenn der Eindruck einer wissenschaftlichen Beschreibung (wie beim interviewten Mitarbeiter von Ruskin Mill) angedeutet wird, dürften einige Fragen nicht übergangen werden – beispielsweise:

Konsum Wird die gesamte Palette an Nahrungsmitteln abgedeckt oder wird dem lokalen Lebensmittelhandel eine Lückenfunktion zugeschoben? Werden auch die Bedürfnisse von Kleinhaushalten abgedeckt oder kann die Solidarität nur von Familienhaushalten ausgeübt werden? Werden auch periphere Konsumenten bedient oder nur Siedlungen mit einer grösseren Zahl von Konsumentinnen?

Produktion Beschränkt sich die Produktion auf Produktion oder integriert der Betrieb einzelne Schritte der Verarbeitung, der Logistik und des Handels? Wie sind periphere Betriebe eingebunden? Wie entstehen die Preise?

Arbeitsteilung ist ein wichtiges und verbilligendes Prinzip der Wirtschaft, auch wenn es oft schwerfällt, die Funktion und damit die Berechtigung des ‹Gewinns› des Handels zu verstehen. Im ‹Nationalökonomischen Seminar› (GA 341) erwähnt Rudolf Steiner den Schuster Binder, der das fertiggestellte Schuhwerk selber auslieferte. «Woraus besteht nun das ganze Paar Stiefel? Es besteht in diesem Fall aus den Röhren […], aus dem Ristteil, aus der Sohle und aus dem Gang des Schusters, den er zu verrichten hatte bis zu uns. Der gehört dazu. Es ist ganz gleichgültig, ob Sie nun von der Röhre oder der Sohle oder diesem Gang sprechen. Die Arbeitsteilung trat zuerst dadurch ein, dass man das Stück wegnahm, das den Gang ausmachte.»

Dem Apfel in der Kiste im Laden sieht man nicht an, dass es sich wirtschaftlich gesehen um etwas ganz anderes handelt als beim gleich aussehenden Apfel in der Kiste des Pflückers in der Obstplantage. Eine wissenschaftliche Beschreibung der Organisationsformen der Landwirtschaft und der nachgelagerten Stufen darf aber nicht auf einzelne Aspekte fokussieren – vor allem dann nicht, wenn bestimmte Organisationsformen viel mehr das Gemüt als das nüchterne Interesse ansprechen. Selektive Darstellungen im Sozialen tragen immer den Keim zur Unwahrheit in sich.

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare