Vor fünfzig Jahren betrat erstmals ein Mensch den Mond. Es ist ein technischer Schwellenübertritt, der das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts kennzeichnet.
«Es war ironisch, dass wir den Mond erkunden wollten, aber in Wirklichkeit die Erde entdeckten.» Das schreibt der Astronaut Bill Anders von Apollo 8, als er aus 400 000 Kilometern Entfernung auf die Erde schaut. Von ihm stammt auch das Bild des Erdaufgangs über der Mondlandschaft. Sie hätten dabei, so schildert Anders später, die Genesis zitiert. Tatsächlich gehört es zum letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, dass wir Menschen die Erde als Ganzes entdecken. 1968 wird der Club of Rome gegründet, Wissenschaftler aus 30 Ländern sorgen sich um die Zukunft der Erde. 1968 finden die ersten weltweiten Friedensdemonstrationen gegen den Vietnamkrieg statt – ein Weltgewissen regt sich. Und dann, am 20. Juli 1969, stehen erstmals die beiden Astronauten Neil Armstrong und Buzz Aldrin auf dem Mond und schauen von diesem fernen Grund von außen auf die ferne Erde.
400 000 Menschen waren an dieser Reise zum Mond beteiligt. Gene Kranz, der NASA-Flugdirektor, war mit seinen 36 Jahren vermutlich der Älteste. Im NASA-Zentrum lag das Durchschnittsalter bei 26 Jahren. Tatsächlich: Die Reise zum Mond ist ein Jugendtraum! Schon die alten Griechen gaben die Entfernung zum Mond an, denn der Mond gehöre zur Erde: 60 Erdradien sei der Mond von der Erde entfernt, ermittelte Ptolemäus erstaunlich präzise.
Im Sommer 1969 ist es so weit, die Reise kann losgehen. Natürlich ist es auch eine Prestigesache, denn mit dem ersten Satelliten, dem ersten Tier und dem ersten Menschen im All gewann jeweils die Sowjetunion das große Duell. Übrigens: Die Mondlandung ist auch ein Duell zweier Männer, die sich nie begegneten: des russischen Raketenentwicklers Sergei P. Koroljow und des deutschen NASA-Direktors Wernher von Braun. Wie dramatisch sind die letzten Minuten vor der Landung auf dem Mond: Die Landefähre Eagle löst sich in der Mondumlaufbahn vom Mutterschiff. 15 Kilometer über der Mondlandschaft, während sie mit 4 800 Kilometer pro Stunde über die Kraterwelt rast, zeigt der Rechner für das Landemanöver ‹Error 1202›. Niemand kann den Fehler erklären, also wird er ignoriert. Dann meldet der Computer, dem heute jedes Handy weit überlegen ist, den nächsten Fehler: ‹Error 1201›. Wieder ignorieren ihn die beiden Astronauten. Da kommt das nächste Problem: In 120 Metern Höhe stoppt Armstrong den Anflug, denn unter ihm spannt sich ein Geröllfeld mit steilen Klippen und einem Krater auf. Hier zu landen, würde das Ende bedeuten. Horizontal fliegt er weiter, der Treibstoff für den Rückflug erlaubt nur noch 60 Sekunden Flug. Die Uhr für die Zeitreserve ist bei 17 Sekunden, als das kleine spinnenartige Gefährt aufsetzt. Am 21. Juli 1969 um 2:56:20 Weltzeit meldet Neil Armstrong vom Mondstaub des ‹Meeres der Ruhe› aus: «That’s one small step for [a] man, one giant leap for mankind.» Es bleibt unklar, ob der Artikel vor ‹man› im Funk verloren ging oder von Armstrong vergessen wurde. Man kann sich auf Wikipedia den Mitschnitt anhören.
Von kosmischen Reisen erzählen viele Mythen, erzählt Dante in der ‹Göttlichen Komödie›, erzählt das ‹Traumlied des Olaf Åsteson›. Damit sind immer innere Reisen gemeint, weshalb Novalis in seinem ‹Fragment› schreibt: «Wir träumen von Reisen durch das Weltall: Ist denn das Weltall nicht in uns?» Jetzt hat die Reise, diese Exkarnation mit technischen Mitteln, stattgefunden. Während für eine innere Reise, wie in jeder Meditation, die Seele in eine Stille mündet und langsam wird, gehört zum technischen Verlassen der Erde Geschwindigkeit. Hier gilt: «Du musst schneller werden!» Und diese enorme Geschwindigkeit, interessanterweise ‹Fluchtgeschwindigkeit› genannt, führt die Astronauten in diesen Anblick der Erde von außen. All die Berichte und Notizen der Astronauten sind sich darin ähnlich, dass dieser überwältigende Anblick der Erde von außen sich tief in die Biografie einschreibt und eine Erfahrung von Menschheit gibt. Es ist das selbst im Alltagsleben vertraute Phänomen, dass man das Wertvolle erst im Gegenüber zu schätzen, zu erkennen vermag – das Glück erst aus der Warte des Unglücks, das Leben erst, wenn es versiegt, die Erde erst aus der kosmischen Perspektive.
Es gibt viele Verschwörungstheorien, dass die Mondlandung nicht stattgefunden habe. Auf einer Ebene haben diese schrägen Spekulationen allerdings recht: Die Astronauten waren nicht ‹auf› dem Mond, sondern sie haben mit Raumanzug, Beatmung und Heizung sowie dem Funkkontakt zum Mutterschiff und zur Erde ein Stück Erde zum Mond getragen und in dieser Ausstülpung der Erde dann den Mond betrachtet.
Interessant: Vor 50 Jahren sind die Astronauten als Helden gefeiert worden. Im US-Film ‹Aufbruch zum Mond› (2018) wird Neil Armstrong in ganz anderer Attitüde gezeigt: Schweigend und einsam steht er verloren in der Mondlandschaft. Um die menschliche Heimat bewusst zu ergreifen, ist wohl diese Perspektive des Gegenübers, des Verlassenseins, die jetzige Etappe.
«Mehr als 550 Menschen sahen die Erde schon mit technischen Mitteln von außen. Es ist ein Schwellenübertritt, der wie jede Grenzerfahrung verwandelt.» Quelle: Kevin W. Kelley (Hrsg.), Der Heimatplanet. Frankfurt 1989.
Die Vernunft des Guten
Ich bin überzeugt, dass die Natur uns geschaffen hat und mit Vernunft begabt hat, damit wir – wie ihre Diener, die Winde – Leben in die unübersehbaren Weiten des Kosmos tragen. Die Vernunft des Guten muss siegen, auf der Erde und danach im ganzen Weltall. Jurij Glaskow
Unendlich wertvoll
Da herrschte eine Stille, deren Tiefe du nie zuvor erlebt hattest – eine Stille, die ganz und gar nicht zu der Szenerie passte, die du vor Augen hattest, noch zur Geschwindigkeit […]. Befindest du dich draußen, um von Gott angerührt zu werden? Du verstehst in diesem Augenblick recht wohl und es durchfährt dich mit aller Macht, dass du ein Messfühler für die Menschen da unten bist. Und wenn du nach Hause kommst, ist die Welt anders geworden. Geändert hat sich die Beziehung zwischen dir und diesem Planeten, zwischen dir und all den anderen Lebensformen auf dem Planeten. Denn du hast diese Erfahrung gemacht. Es ist ein Unterschied, und er ist unendlich wertvoll. Russell Schweickart
Unsagbare Schönheit
Bereits vor meinem Flug wusste ich, dass unser Planet klein und verwundbar ist. Doch erst als ich ihn in seiner unsagbaren Schönheit und Zartheit aus dem Weltraum sah, wurde mir klar, dass der Menschheit wichtigste Aufgabe ist, ihn für zukünftige Generationen zu hüten und zu bewahren. Sigmund Jähn, DDR
Foto: Erde geht über dem Mond auf, Apollo 8, NASA