Die Bedeutung der Kunst für die Zukunft des Menschen. Aus der Tagung ‹Das Ende des Menschen? Die Herausforderung transhumanistischer Zukunftsvisionen›.
Das transhumanistische Menschenverständnis rechnet nicht mit einem freien und schöpferisch tätigen Ich, sondern bezieht die Bewusstseinsleistungen des Menschen allein auf die Gehirntätigkeit. So wird die Ursache der Bewusstseinsprozesse in biochemischen Vorgängen gesehen und damit auf die rein materielle Ebene reduziert und letzten Endes das Ich negiert. Der Gedanke, dass das menschliche Bewusstsein durch einen Download auf eine Maschine übertragen werden soll, damit der Mensch nicht mehr den Auswirkungen seines körperlichen Verfalls ausgesetzt ist und so ‹Unsterblichkeit› erlangt, fällt einer Selbstvergessenheit anheim. Denn die in diesem Falle als Ausweg von der biologischen Sterblichkeit genutzten Denkoperationen sind ja selbst Bewusstseinsleistungen des Menschen, mit denen er jene Realität hervorbringt. Er verhält sich diesen gegenüber jedoch so, als ob sie ihm als objektive Wirklichkeit von außen entgegenkommen würden. So werden die technischen Neuerungen und Entwicklungen paradoxerweise als eine Art Naturgesetzlichkeit empfunden, der wir uns zu fügen haben. Indem wir dann die Maschinen als handelnde Subjekte begreifen, geben wir die Verantwortung für unsere eigene Schöpfung ab. Totes wird zu etwas scheinbar Lebendigem und beginnt, den Menschen in Besitz zu nehmen. Das Dasein wird zu einer Art dauerpräsenten Scheinrealität. Zum Leben gehört jedoch Unverfügbarkeit und damit ein Ausgesetztsein an eine nicht menschlich erzeugte Realität. Wir können dieser im Innehalten, in der Pause, in der Nacht und im Tod begegnen. Sie sind der Ursprung für alles Schöpferische.
Hiermit sind wir im ureigensten Gebiet der Kunst angelangt. An ihr wird sichtbar, wie Welt im weitesten Sinne angeeignet wird, in einem künstlerischen Prozess durch das Ich hindurchgeht und verwandelt wieder erscheint. Das ist kein eindimensionaler Vorgang, da der Schaffende im schöpferischen Prozess sich selbst in der Begegnung mit seinem Gegenstand verwandelt. Auch die Rezipienten werden zu Mitschaffenden, indem sie das Kunstwerk aufnehmen – es lebt und arbeitet in ihnen weiter. Beide sind so schöpferisch tätig und gestalten aus sich heraus.
Die Beiträge der drei Schriftsteller Galsan Tschinag, Sibylle Lewitscharoff und Patrick Roth machten dies evident. Der deutsch schreibende Galsan Tschinag, ein Tuwa-Mongole, ist in der schamanischen Tradition verwurzelt. Es lebt in ihm eine unmittelbare Einheit des Menschlichen mit dem Kosmischen als Gesamtzusammenhang. Er ist, wie er sagte, «mit seinen eigenen Elementargeistern» ans Goetheanum gekommen. Als ‹Grenzgänger› zwischen dieser alten geistigen Tradition, als Botschafter zwischen Ost und West, bewegt ihn, wie sich im Zeitalter des Materialismus Perspektiven für eine Menschlichkeit entwickeln lassen, die der spirituellen Herkunft des Menschen eingedenk sind. Sibylle Lewitscharoff hat mit ihrem präzisen und feinsinnigen Sprachverständnis und ihrer beeindruckenden Formulierungskunst gezeigt, wie das Medium der Sprache im guten wie im bösen Sinne ein gestaltendes Instrument ist. Es will mit einem geschärften Bewusstsein und einer dem Humanum gegenüber verantwortlichen Art und Weise gehandhabt werden. Patrick Roths Schreiben ist auf das Göttliche hin gerichtet, das ihm in Träumen und Imaginationen erscheint, die zu sprachlichen Bildern werden. Man kann an ihnen erleben, dass die Inhalte der Evangelien nicht abgeschlossen sind, sondern dass es vielmehr eine Sphäre gibt, aus der heraus sie weitergeschrieben werden können.
An diesen sehr individuellen Zugängen zur Welt und zu sich selbst, wird die unverzichtbare Substanz des Menschlichen in seiner Vielfalt und Weite erkennbar und die Begegnung und Auseinandersetzung eines Ich in seinem schöpferischen Verhältnis zur Welt erfahrbar.
Was die Kunst als Göttergeschenk dem Menschen wie selbstverständlich schenkt, muss im Falle der Technik mit Bewusstsein und Verantwortungswillen neu ergriffen werden. Wir müssen Technik mit den schöpferischen Kräften im Menschen neu ergreifen und mit Menschlichkeit umkleiden und umhüllen. Der Transhumanismus wird somit zu einer existenziellen Herausforderung, das gesamte Sein des Menschen neu zu befragen, sowohl in seiner menschenkundlich-philosophischen Dimension als auch in den alltäglichen und praktischen Auswirkungen in Pädagogik, Medizin, sozialem Leben, Kultur und auch der Technik selbst.
Für die Folgetagung vom 18. bis 20. Oktober 2019 wird die Frage nach dem Ich und den Seelenkräften im Zentrum stehen. «Denn das Ich enthält Wesen und Bedeutung durch das, womit es verbunden ist» (Rudolf Steiner, GA 9, ‹Theosophie›).
Foto: Jonas Lismont