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Sanfte Manipulation

Ist es legitim, dass der Staat subtile psychologische Methoden anwendet, um seine Bürger zu ‹vernünftigen› Entscheidungen zu animieren, die angeblich zu positiven sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen führen?


Und falls dem so wäre: Kann der Einsatz solcher fürsorglichen Kontrolltechniken befürwortet werden, wenn sich die Entlastung des Missbrauchsverdachts in dem hoheitlichen Gelöbnis erschöpft, ausschließlich dem Wohl der Gemeinschaft verpflichtet zu sein – auch dann, wenn sich der Einsatz besagter Methoden jeglicher demokratischen Kontrolle entzieht? In Stockholm wurde die höchst dotierte Auszeichnung der Wirtschaftswissenschaften dieses Jahr an einen us-amerikanischen Verhaltensökonomen verliehen, dessen Forschung den Grund liefert, weshalb sich Fragen wie diese aktuell wieder stellen.

Unter Bezugnahme auf die seit Friedrich Nietzsche und Oswald Spengler aufgekommene Kulturkritik schrieb Arnold Gehlen in seinem 1949 erschienenen Buch ‹Die Seele im technischen Zeitalter›: «In unserer Öffentlichkeit sind angstvolle Vorstellungen vom Ameisenstaat der Zukunft, von Vermassung und drahtloser Lenkung der Gehirne, vom Verlust der Person und vom Verfall der Kultur weit verbreitet», und machte darauf aufmerksam: «Schon der roheste Faustkeil aus Feuerstein trägt dieselbe Zweideutigkeit in sich, die heute der Atomenergie zukommt: er war ein brauchbares Werkzeug und zugleich eine tödliche Waffe.» Symptomatisch ist der damit zum Ausdruck gebrachte Aspekt der Dualität auch für das sukzessive offener zutage tretende Dilemma, dass Technologie einerseits Bedürfnisse des Menschen bedienen und ihn im Windschatten dieser bedürfnisbefriedigenden Funktion gleichzeitig auch manipulieren kann. Denn der in den Vordergrund gestellte Nutzwert kann auch als Köder fungieren, mithilfe dessen eine Wahrnehmungsverengung erzeugt und so etwaige Nebenwirkungen unsichtbar gemacht werden können.


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Um sich die neuesten Erkenntnisse der Verhaltensforschung zunutze machen und politische Ziele dadurch wirksamer durchsetzen zu können, hielt das deutsche Bundeskanzleramt im Sommer 2014 Ausschau nach neuem Personal. Gesucht wurden drei Referenten, die «hervorragende psychologische, soziologische, anthropologische, verhaltens­ökonomische bzw. verhaltenswissenschaftliche Kenntnisse» haben und der Kanzlerin dabei behilflich sein sollten, «den Nutzen für Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen bzw. Kosten und Belastungen zu senken». Nach Barack Obama und David Cameron begannen sich damit auch Angela Merkel und Heiko Maas mit der anwendungsorientierten Fragestellung zu befassen, inwieweit psychologische Techniken dabei behilflich sein können, jene Wähler, denen sie ihre politische Machtfunktion verdanken, unter Zuhilfenahme sanfter Beeinflussungsmethoden zu vernünftigeren und glücklicheren Bürgern zu erziehen.

Anfang Oktober dieses Jahres gab die Königlich Schwedische Wissenschaftsakademie in Stockholm bekannt, dass der 1968 ins Leben gerufene ‹Preis der Schwedischen Reichsbank in Wirtschaftswissenschaft zur Erinnerung an Alfred Nobel› – welcher, obwohl keineswegs von Alfred Nobel gestiftet, irreführenderweise dennoch zumeist als ‹Wirtschaftsnobelpreis› bezeichnet wird – dieses Jahr «für seinen Beitrag zum Verständnis der Psychologie der Ökonomie» an den us-amerikanischen Verhaltensökonomen Richard H.Thaler verliehen wurde. Gemeinsam mit dem Harvard-Professor Cass Sunstein hatte Thaler 2008 das Buch ‹Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness› veröffentlicht, in welchem die nun gewürdigte ‹Nudge Theory› beschrieben wird.

Ausgehend von der Annahme, dass sich Menschen grundsätzlich irrational verhalten und daher zu ‹vernünftigen› Entscheidungen animiert werden müssten, wird darin argumentiert, dass sich der Einzelne zwar immer frei entscheiden können soll, die Umgebung vom Staat mittels ‹Nudging› (engl. ‹to nudge› = sanft schubsen) aber so präpariert werden sollte, dass ein gewünschtes (das heißt politischen Zielen dienendes) Entscheidungsverhalten wahrscheinlicher wird. Dem Konzept dieses ‹libertären Paternalismus› immanent ist freilich der Widerspruch, dass sich die staatlichen Entscheidungsarchitekten hierzu von den menschlichen Rationalitätsdefiziten selbst freisprechen müssten, welche sie jenen, deren vernunftfördernder Lenkung sie sich andienen, anlasten. Widersprüchlich ist auch, dass ‹Nudging› die Menschen nicht über ihre irrationalen Entscheidungsgründe aufklärt, sondern sich dieser vielmehr unterschwellig bedient. Zwar bleibt die individuelle Entscheidungsfreiheit formal erhalten, de facto findet aber eine gezielte Beeinflussung statt, ohne dass die Betroffenen über Existenz und Zweck der Maßnahmen Bescheid wissen.

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Dem Konzept dieses ‹libertären Paternalismus› immanent ist freilich der Widerspruch, dass sich die staatlichen Entscheidungsarchitekten hierzu von den menschlichen Rationalitätsdefiziten selbst freisprechen müssten.

Unter ‹Nudging› verstehen Sunstein und Thaler eine Methode, mithilfe derer das Verhalten von Menschen auf vorhersagbare Weise beeinflusst werden kann, ohne Verbote und Vorschriften erlassen zu müssen. Ansätze hierzu finden sich bereits in J. B. Watsons 1913 publiziertem Gründungsdokument des Behaviorismus, wo es heißt: «theoretisches Ziel [der Psychologie] ist die Vorhersage und Kontrolle von Verhalten». Der Annahme folgend, dass solchen ‹theoretischen Erkenntnissen› die Tendenz innewohnt, auch in die Praxis umgesetzt zu werden, offenbart sich hier ein merkwürdiger Rückkopplungsmechanismus, insofern mit der faktischen Möglichkeit der Verhaltenskontrolle gleichzeitig auch geistige Wirkkräfte entfesselt werden, die permanent auf ihre Schöpfer zurückwirken, sodass gerade deren eigenes – von diesen Kräften kontrolliertes und folglich von Machtstreben geleitetes – Verhalten vorhersagbar wird.

Rudolf Steiner sagte am 4. Oktober 1918 (GA 184, 10. Vortrag): «Derjenige Mensch, der von Ahriman besessen ist, möchte möglichst viele Menschen beherrschen, geht dann darauf aus, wenn er klug ist, die menschliche Schwäche zu benützen, um gerade durch die menschliche Schwäche die Menschen zu beherrschen.» Dem wäre noch hinzuzufügen, dass sich daraus keineswegs zwangsläufig eine kulturpessimistische Perspektive erschließen muss. Denn Steiner hat bekanntlich ebenfalls unentwegt darauf hingewiesen, dass die Entwicklung der Bewusstseinsseele unter gar keinen Umständen voranschreiten kann, wenn der Mensch nicht kontinuierlich in die Lage versetzt werden würde, gegen immer stärkere Widerstände ankämpfen zu müssen, um gerade daran aufwachen zu können.


Zeichnung: Philipp Tok

Foto: Nonsap Visuals

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