Sag mir, wo die Blumen sind

Zum neuen Artenschutz­abkommen – Hoffnungen und Herausforderungen.


Die 15. Konvention über die Biodiversität, die im Dezember 2022 in Montreal von 196 Nationen verabschiedet wurde, ist auf den ersten Blick ein Durchbruch. 30 Prozent aller Land- und Meeresflächen sollen bis 2030 unter Schutz gestellt werden, die Rechte der indigenen Bevölkerung, die oft in den schützenswertesten Regionen leben, sollen gesichert werden. Diese Menschen dürfen also in Schutzregionen bleiben, weil ihre Anwesenheit die Natur nicht gefährdet, sondern vielmehr fördert. Doch gilt es die natürliche Vielfalt auch in den von uns genutzten Land- und Wasserflächen zu bewahren. So wird verlangt, dass ca. 30 Prozent der am stärksten zerstörten landwirtschaftlich und industriell genutzten oder bewohnten Flächen ebenfalls restauriert werden müssen.

Was ist das Abkommen wert? Alles hängt davon ab, ob und wie verbindlich es in den reichen Ländern umgesetzt wird. Dabei geht es nicht um die Frage, ob sie es können; sondern um das Einlösen eines Versprechens, das sie gemacht haben. Die Schwierigkeiten beginnen bereits bei der Finanzierung. Obwohl nach Expertinnen und Experten dafür jährlich ca. 100 Milliarden Euro bereitgestellt werden müssen, wird es heute bereits als Erfolg angesehen, wenn es 30 Milliarden sind. Wie die Gelder wirklich zu den Zielorten und -gruppen kommen, ist ein ungelöstes Problem. Hinzu kommt ein Phänomen, das eine Priesterin bei den Feierlichkeiten der Christengemeinschaft in Dortmund als «Inflation der Worte» bezeichnet hat. Sie sprach zwar nicht vom Artensterben, aber von der Unverbindlichkeit, mit der heute Dinge gesagt oder gar versprochen werden, die nach kurzer Zeit keine Gültigkeit mehr besitzen. Was kann dagegen getan werden?

Alles steht in Beziehung

Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Wir Menschen sind restlos ins Beziehungsgefüge der außermenschlichen Natur eingebunden. Alle Pflanzen schenken den Tieren und Menschen den zum Leben notwendigen Sauerstoff und mit jedem Ausatmen geben diese das für die Pflanzenwelt notwendige Kohlendioxid zurück.

Die Ausrottung von Pflanzen- und Tierarten hat weitreichende Folgen für die Gesundheit von Mensch und Erde. Das Verschwinden von Amphibien fördert die Vermehrung von Mücken, was in der Folge zu einer erhöhten Verbreitung von Malaria führen kann. Der Einsatz von Herbiziden und Pestiziden in der Landwirtschaft zerstört direkt das weisheitsvolle Netz der Natur. Gibt es zu wenig Samen von Wildkräutern und zu wenig Insekten und Insektenlarven, hungern ‹Nützlinge› wie Vögel und Kleinsäuger – ganz zu schweigen von der Verschlechterung der Trinkwasserqualität mit unmittelbaren Folgen für die menschliche Gesundheit.

Wie wichtig die Vielfalt von Lebensräumen für die Gesundheit der Erde ist, macht Rudolf Steiner besonders im sechsten Vortrag des Landwirtschaftlichen Kurses deutlich. Er spricht von naturintimen Wechselwirkungen. Mit Recht haben die Koliskos ihrem Buch über biodynamische Landwirtschaft den Titel ‹Die Landwirtschaft der Zukunft› gegeben. Landwirtschaftspraxis und Spiritualität sind kein Widerspruch, sondern können sich notwendig und sinnvoll ergänzen.

Luftaufnahme des Waldes in der Nähe des Murtensees. Foto: Sofia Lismont

Wir löschen einen Großbrand

Damit komme ich auf ein Anliegen zu sprechen, das an der COP 15 deutlich adressiert wurde und das auch Greta Thunberg in ihrem Klimabuch erwähnt. Danach handle es sich bei dem nötigen Wandel nicht um die persönliche, individuelle Bewusstseinstransformation. Was notwendig sei, sei ein gesamtgesellschaftlicher Systemwandel. In anthroposophischen Kreisen wird das allerdings häufig als irrelevant bezeichnet. Man kann mit Recht zweifeln, ob die Menschen angesichts der bedrohlichen Klima- und Biodiversitätsproblematik – das Absterben einer Art vollzieht sich tausendmal schneller als die Entstehung einer neuen – Zeit genug haben, ihr ökologisches Bewusstsein zu entwickeln und in die Tat umzusetzen. Und man wird mit einem gewissen Recht fordern, dass politische Führungen und Konzernverantwortliche gemeinsam den notwendigen Umbau von Landwirtschaft, Energieerzeugung und Ressourcengewinnung nachhaltig gestalten müssen. Doch weshalb sollten sie es tun? Können sie es ohne eine individuelle, innere Transformation? Ich glaube nicht.

Die Vertretenden der indigenen Völker, die ca. fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, stellen täglich unter Beweis, dass durch ihre Arbeit die Natur nicht zerstört, sondern sogar verbessert wird. Und sie erzählen, wenn man es hören will, dass sie ihren Alltag mit einem Ethos, man darf wohl sagen, in einem inneren Gespräch mit den Geistern, die Berge, Felsen, Flüsse, Wasser, Pflanzen und Tiere ‹bewohnen›, einrichten.

Wir können nicht zurück zu diesem Bewusstsein, das betont auch Rudolf Steiner immer wieder. Wir dürfen die Lösung der immensen Aufgaben auch nicht an Einzelne, an uns persönlich delegieren. Der Systemwechsel ist so dringend wie die Löscharbeit der Feuerwehr bei einem Großbrand. Doch ohne Änderung der Gesinnung gibt es langfristig kein Überleben von Mensch und Erde! Beten ist eine Option, Meditieren eine andere. Wir erfahren, dass ein erster Schritt auf dem Schulungsweg zur Einsicht führt, wie alle Wesen der Natur und die Menschen in einem intimen Zusammenhang stehen – dass wir alle ätherisch verbunden sind. Wenn wir draußen zerstören, geht auch in uns etwas kaputt. Unsere kleinsten Handlungen stehen in Zusammenhang mit den großen Weltereignissen.1 Noch sind erst wenige zu dieser Einsicht gekommen. Doch müssen wir uns täglich fragen, ob und in welcher Form unser spirituelles Leben in unserem Alltag wirksam wird. Wenn nicht, machen wir etwas falsch. In Anlehnung an Rudolf Steiner gilt heute mehr denn je: Liebe ist Erkenntnis, ist Meditation zur Tat gewendet.

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Footnotes

  1. Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten? GA 10, 1918, S. 25.

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