Russland im Februar 2023

Die Freien Waldorfschulen Weimar und Erfurt wagten es trotz der Kriegsumstände, ihre Partnerschaften zu den russischen Freunden aufrechtzuerhalten. Der Austausch knüpft an eine langjährige Tradition der beteiligten Schulen an. Frank Scholwin begleitete als Elternteil die ‹Kinder›. Hier einige Impressionen aus der Begegnung in Moskau und der gemeinsamen Arbeit im russischen Winter in Wologda.


Unsere Gruppe von 18 Personen, bestehend im Wesentlichen aus Schülerinnen und Schülern, fuhr vom 10. bis 25. Februar 2023 zu einem Schüleraustausch mit zwei Moskauer Waldorfschulen nach Russland. Mangels direkter Flüge sind wir mit einem Linienbus vom Hermsdorfer Kreuz (Autobahnkreuz bei Weimar) nach Kaliningrad gefahren. Von dort ging es mit dem Flugzeug zuerst nach Moskau. Nach einer Woche in der russischen Hauptstadt reisten wir mit dem Nachtzug weiter nach Wologda und dann noch mit einem Bus in die Nähe von Kirillow in das Gebiet der weißen Seen, ca. 500 Kilometer nördlich von Moskau.

In den Moskauer Tagen haben wir jeweils allein oder zu zweit in Familien der russischen Waldorfschule gelebt, vormittags gemeinsam den Unterricht erlebt und nachmittags verschiedene Ausflüge in der Stadt unternommen. Im Kirilov-Gebiet wurde vormittags täglich gemeinsam gearbeitet. Wir zeichneten mit Kreide, veredelten Apfelbäume und arbeiteten in einem Waldstück. Die Apfelbäume dienen in der vor Ort befindlichen Baumschule ‹Gärten des Nordens› zum Sortenerhalt unter nordischen Klimabedingungen von winterlicher Kälte und sommerlicher Trockenheit und zur Anpflanzung an regionalen Schulen und in Parkprojekten. Im Wald durchlichteten wir und räumten Totholz weg, sodass Raum für die nächste Baumgeneration und das freie Wachstum von Zukunftsbäumen entstand. Die Zukunftsbäume wurden teilweise bis zur Krone aufgeastet, um deren Wachstum zu fördern

Gerade jetzt!

Auf der Hinreise wurden wir bereits an der Grenze mit größter Freundlichkeit begrüßt. Besondere Aufmerksamkeit haben bei der Durchleuchtung der Koffer die vielen Sägen gefunden. Nach der Erklärung, dass wir damit mit Schülern im russischen Wald arbeiten wollen, wurden wir immer wohlwollend durchgewunken. Bei unserer Ankunft in Moskau wurden wir mit freudigem Erwarten im Empfang genommen von den Familien – wir zum Teil mit gemischten Gefühlen wegen der Verständigungsmöglichkeiten, doch immer zuversichtlich, dass Schwierigkeiten gemeinsam gemeistert werden können. Vereinzelt war die Kommunikation fast nur auf Russisch möglich, was anfangs kleine Herausforderungen mit sich brachte, im Nachhinein aber gerade von den Schülerinnen und Schülern als Bereicherung angesehen wurde. Das war ja auch ein Ziel der Reise.1 Hauptsächlich fand die Kommunikation zwar auf Englisch statt, doch sowohl von russischer als auch deutscher Seite gab es viele Ansätze, die jeweils andere Sprache zu vertiefen oder zu erlernen. Wir alle sind auf unterschiedlichste Art und Weise mit großem Engagement seitens der russischen Partner regionaltypisch bewirtet und tief in Leben und Kultur aufgenommen worden. Bereits aus der letzten gemeinsamen Arbeit der Waldorfschulen Moskau und Weimar im Herbst 2022 in Frankreich – an der aus der Weimarer Klasse auch ein ukrainischer Schüler teilnahm – wurde uns berichtet, dass neben den Schülerinnen und Schülern gerade auch die Eltern einen ganz anderen Blick auf die Weltlage und auf die Menschen in Deutschland und Russland bekommen haben.

Bei den Ausflügen waren wir als deutsch-russische Gruppe sehr auffällig, da momentan fast keine westeuropäischen Menschen in Moskau unterwegs sind. Wir wurden mehrfach angesprochen, wer wir sind und warum wir hier sind, und es wurde immer mit großer Freude und auch Erleichterung wahrgenommen, dass wir trotz aller Widrigkeiten den zwischenmenschlichen Austausch suchen und realisieren. Von interessierten Passanten über den Austausch in den Gastfamilien und an der Moskauer Schule bis zum Gespräch mit einem Taxifahrer wird für uns klar: Die viel diskutierten Konflikte liegen in der globalen Politik, aber nicht in den einzelnen Menschen und der Bevölkerung der Länder. Es fühlt sich genau richtig an, dass wir gerade jetzt diese Reise unternommen haben!

An der drei- bis vierzügigen Schule gab es aus allen Klassenstufen von der dritten bis zur zehnten Klasse eine über die Tage zunehmende Nachfrage, ob deutsche Schüler nicht auch einmal in den Unterricht kommen können, damit man mit ihnen ins Gespräch kommen kann. Insbesondere im Deutsch- und Englischunterricht wurden wir mit großem Interesse empfangen und ausführlich ausgefragt, sodass es zu einem intensiven Austausch kam.

Im Nachgang haben die Lehrerinnen und Lehrer berichtet, dass nun viele Schülerinnen und Schüler intensiv Deutsch lernen wollen, um den Austausch fortführen zu können. Die Begegnung hat der bisher so entfernt wirkenden Sprache einen Realitätsbezug gegeben, der sich so weit fortzieht, dass einige Klassen uns sogar noch Bilder gemalt und Geschenke für andere Klassen der Weimarer Schule beim Abschied zum Flughafen gebracht haben, um deutschen Schülerinnen und Schülern, die in der Zukunft einmal kommen werden, schon einen ersten Gruß zukommen zu lassen.

Herzwerk

Im Norden Russlands wohnten wir in russisch-deutsch gemischten Gemeinschaftshäusern mit je etwa zehn Personen. Die Vormittage wurden mit gemeinsamer Arbeit verbracht, nachmittags unternahmen wir Ausflüge in der Region, gingen in die ‹Banja› (die russische Sauna), fuhren Ski. Die Abende waren immer lang und wurden gemeinsam genutzt, in kleinen und großen Gruppen. Wir haben gemeinsam deutsche und russische Lieder gesungen, gelacht, gespielt, uns unterhalten, aus interessanten Vorträgen gelernt und auch Gemeinschaftstänze bei Gitarre und Geige geübt. Inmitten dieses vielfältigen Programms sind enge Verbindungen zwischen den deutschen und den knapp 30 russischen Schülerinnen und Schülern entstanden.

Ich habe noch nie eine so bewegende Reise begleitet, in der sich Schüler und Schülerinnen im Alter von 16 bis 18 Jahren derartig herzlich, widerwillig und voll Versprechungen voneinander trennten wie beim Abschied auf dem Moskauer Flughafen, wo wir schließlich tatsächlich erst nach Schließen des Gates am Flugzeug ankamen.

Und weiter?

Der Gegenbesuch fand Mitte April, nach Ostern statt. Die Anreise musste über die Türkei erfolgen. Die russischen Schülerinnen und Schüler waren zu einer Woche handwerklicher Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern (Strohlehmbau, Biobäckerei, Obstbaumpflege) und einer Woche Schulalltag in Weimar und Erfurt zu uns gekommen. Auch von unserer Seite soll und wird der Kontakt fortgeführt und ausgebaut: wie in den Vorjahren durch regelmäßige Schüleraustausch-Reisen zur gemeinsamen Arbeit in Russland, zur Aufrechterhaltung der bestehenden Kontakte. Nur Kontinuität und die persönliche, regelmäßige Begegnung bauen Vertrauen und tiefe Verbundenheit zwischen den Menschen auf. Eine Herausforderung sind die Erteilung der nötigen Visa durch die Deutsche Botschaft und die stark gestiegenen Reisekosten, die die Familien teilweise an die Grenze ihrer Möglichkeiten bringen – und trotzdem sicherlich aufgebracht werden. Hier kann jede auch noch so kleine externe Unterstützung helfen. Über unseren gemeinnützigen Verein Biologisch-Dynamische Bildung und Forschung in Russland ist auch die Ausstellung von Spendenquittungen möglich. Darüber hinaus unterstützen wir im Dorf Truschkowo, in der Oblast Kaluga, drei Stunden südlich von Moskau gelegen, den Aufbau zweier biologisch-dynamischer Betriebe zum Aufbau eines Lernortes mit Schülerquartier für benachbarte Staatsschulen und Waldorfschulen aus Moskau sowie Deutschland. Ein Seminarhaus ist gerade im Bau. Auch hier ist jede tatkräftige und/oder finanzielle Unterstützung erwünscht.

Was war das Wertvollste der Reise? «Alle Augenblicke, in denen meine Vorurteile durch wirkliche, schöne Erfahrungen ersetzt wurden», sagte ein Schüler in der Abschiedsrunde.


Kontakte
Klaus Wäschle
Frank Scholwin

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Footnotes

  1. In Weimar wird ab der 1. Klasse Russisch als zweite Fremdsprache unterrichtet.

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