Matthias Niedermann und Sebastian Knust gehören zur Organisationsgruppe für die große Feier in Stuttgart zum 100. Todestag von Rudolf Steiner. Veranstaltungsort ist der Schlossplatz, ein Ort maximaler Öffentlichkeit in der Einkaufsmeile der schwäbischen Hauptstadt. Wolfgang Held sprach mit den beiden Organisatoren.
Wolfgang Held: Das Fest auf dem Schlossplatz ist für ‹alle› und für die anthroposophische Gemeinschaft? Wie gelingt der Spagat?
Sebastian Knust Ja, die Veranstaltung ist für ein öffentliches Publikum konzipiert. Wir möchten Menschen erreichen, die vielleicht das Wort ‹Anthroposophie› noch nie gehört haben oder beim Arzt oder in einer Waldorfschule damit in Berührung gekommen sind und etwas mehr über die Erkenntnispraxis der Anthroposophie erfahren wollen. Dann möchten wir aber auch das Laufpublikum auf dem an Wochenenden stark belebten Schlossplatz erreichen. Es gibt eine Reihe an Einführungsveranstaltungen, die man wahrnehmen kann, zum Beispiel eine Eurythmie-Performance oder eine kleine Verköstigung im Demeter-Bereich. Überall geht es darum, Grundideen der Anthroposophie erfahrbar und verstehbar zu machen. Daneben richtet sich die Veranstaltung aber auch an Menschen, die schon mit der Anthroposophie vertraut sind und unser vielfältiges Angebot an Podien und Dialogforen zur Erweiterung und Vertiefung wahrnehmen möchten!
Wie lief die Zusammenarbeit mit der Stadt Stuttgart?
Matthias Niedermann Wenn man eine Veranstaltung an einem solch öffentlichen Ort wie dem Stuttgarter Schlossplatz plant, dann gehen damit eine Reihe von Behördengängen, Anträgen und Auflagen einher. In unserem Fall mussten wir sogar mit zwei Ebenen verhandeln: mit der Stadt Stuttgart, der die Königstraße gehört, und mit dem Land Baden-Württemberg, das den Schlossplatz zur Verfügung stellt. Da gibt es viele Herausforderungen, wie zum Beispiel den Brandschutz: Offenes Feuer und sogar Kerzen oder Tücher in den Zelten sind heutzutage eine wirkliche Schwierigkeit! Trotzdem werden wir bei der Gestaltung der vielen Zelte viel Liebe und Sorgfalt aufwenden. Dabei hilft uns auch eine Event-Firma. Den Fakt, dass wir eine anthroposophische Veranstaltung an einem solch öffentlichen Ort planen, fanden unsere Gesprächspartner in den Behörden übrigens sehr interessant.
Am Goetheanum spricht man von ‹Gedenkjahr›, ihr nennt es ein ‹Festjahr›. Was ist der Unterschied?
Knust Bei unserer Vorbereitung haben wir das auch abgewogen. Der Begriff ‹Gedenkjahr› macht Sinn, wenn man nur auf die Person Rudolf Steiner schaut. Wir haben uns aber entschieden, dass wir nicht nur auf das materielle Erbe, sondern vor allem auf die aktuell wirksamen und lebenden Ideen des zukunftsweisenden Lebenswerks blicken möchten, das Steiner uns hinterlassen hat. Für uns war außerdem der Aspekt wichtig, die 100-jährige Entwicklung der anthroposophischen Bewegung insgesamt zu feiern. Sie ist nach Steiners Tod eben nicht verebbt, sondern hat sich über die Jahre auf verschiedenen Feldern gesellschaftsprägend entwickelt. Es war ja 1925 nicht ausgemacht, dass sich die unterschiedlichen Bereiche weiterentwickeln würden. Die Ideen, die Steiner in die Welt gebracht hat – zum Beispiel dass die konkrete zivilisatorische Zukunft von der menschlichen Erkenntnis- und Empathiefähigkeit gestaltet wird –, sind weiterhin sehr aktuell und müssen immer wieder neu realisiert werden. All das hat uns veranlasst, auf dieses Jahr mit einer Feierstimmung zu blicken, und so nennen wir das geplante Großevent auf dem Schlossplatz auch ‹2025 Steiner-Jubiläum›.
Wie viele Initiativen habt ihr im Boot?
Niedermann Seit vielen Jahren arbeiten in der Allianz anthroposophischer Verbände und Organisationen unterschiedliche Partner zusammen, unter anderem: Bund der freien Waldorschulen, Anthropoi Bundesverband, Demeter, Vereinigung der Waldorfkindergärten, Christengemeinschaft, Gesellschaft Anthroposophischer Ärztinnen und Ärzte in Deutschland, Gesundheit Aktiv, Info3, Freunde der Erziehungskunst und einige mehr.
Die meisten dieser Organisationen werden mit einem Zelt vertreten sein, in dem Workshops, Aktionen und Infos gegeben werden können. Außerdem werden der Omnibus für direkte Demokratie, die GLS-Bank, Sonett und einige andere Firmen, Initiativen und kreative Menschen vertreten sein. Ich denke, wir haben ein vielfältiges Programm zusammengestellt, bei dem für jedes Alter und jedes Interessensfeld etwas dabei ist!
Blick zurück, Blick voraus: Welcher ist euch wichtiger?
Niedermann Ich denke, beides ist wichtig, und es sollte sogar eine dritte Qualität hinzukommen. In der Vergangenheit lebt ja schon die Zukunft; und ein Zukünftiges ohne Vergangenheit ist aus meiner Sicht nicht lebensfähig. Bei dem Steiner-Jubiläum kommt noch die Dimension der Öffentlichkeit hinzu. Diese erfordert eine innere Qualität, die ich als Geistesgegenwart und Relationalität bezeichnen möchte. Diese drei Qualitäten zu verbinden, ist eine große Herausforderung. Einerseits ist es schon beeindruckend, welche Vielfalt in den letzten 100 Jahren anthroposophischer Entwicklungsarbeit entstanden ist. Und das wollen wir auch zeigen! Andererseits haben wir mit der Digitalisierung, der Klimaveränderung und den verschiedenen individuellen und sozialen Krisen eine Vielzahl an Herausforderungen vor uns, bei denen anthroposophisch inspirierte Ideen wichtige und horizonterweiternde Bearbeitungsansätze bieten.
Was hat euch in der Vorbereitung überrascht oder gefreut?
Knust Es gab viele abwechslungsreiche Momente in der Vorbereitung. Insgesamt ist sie für uns herausfordernd, denn mir ist nicht bekannt, dass wir jemals in der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland (AGID) solch eine große Veranstaltung an einem öffentlichen Ort wie dem Stuttgarter Schlossplatz gestemmt hätten! Eine besondere Freude bereitet uns, dass so viele Menschen aus den oben genannten Partnereinrichtungen uns aktiv zur Seite stehen und eigenständig ihre Zelte planen, inklusive Einrichtung und Programm. Das hat uns darin bestärkt, dass wir mit dieser Veranstaltung auf dem richtigen Weg sind. Nun laden wir ganz herzlich dazu ein, an diesem örtlich und vom Umfang her sicherlich einmaligen Steiner-Jubiläum teilzunehmen!
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