Sommer 2020, ich war mit einem Architektenfreund auf Kapellentour. Über Köln, die Eifel und das Elsass erreichten wir schließlich Dornach.
Nach dem ersten beeindruckenden Rundgang um das ihm unbekannte Goetheanum und als Nicht-Anthroposoph stellte mein Gefährte in der Abendrunde bei Freunden die unbedarfte Frage: Wo ist hier nun aber die Kapelle, der heilige Raum? Nach anfänglichem Schmunzeln und dem Kosten der Frage entspann sich ein Gespräch darüber, was für jeden von uns der heilige Ort in Dornach ist. Die Eurythmistin in der Runde nannte die Bühne. Der Grafiker empfindet von jeher die Westfassade als heilig. Der Maler sprach von dem äußeren und inneren Raum der Schulungsskizzen. Ich hatte keine Antwort und sorgte nur regelmäßig für die Beleuchtung, wenn das Licht unter dem Vordach ausging und wieder eingeschaltet werden musste.
Fast ein Jahr später wurde mir bewusst: Der Prozess ist für mich der heilige Raum. Er gleicht dem Suchen nach etwas, von dem wir nicht wissen und was nicht durch Wissen zu erlangen ist. Er beansprucht die religiösen und erkennenden Kräfte in mir, weil das Ergebnis offen, aber nicht beliebig ist und durch meine Haltung beeinflusst wird. Der Prozess ist das Gegenteil zum binären System eines Prozessors, weil im Prozess das Lebendige wohnt, was sich nicht in Informationseinheiten portionieren lässt. Wenn Gott das ‹Anti-Bit› ist, wäre der Prozess ein Medium, in dem Er erscheinen kann.
Titelbild: Goetheanum, Foto: Xue Li