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Reaktion von Lesenden zum Interview mit Gerald Häfner ‹Sie haben unbewusst die Dreigliederung gewählt›, in: ‹Goetheanum› 42/2021.


Das Ziel ist, auf ein Reaktionsmuster in einer Krise aufmerksam zu machen, das in der Vergangenheit zu noch viel größeren gesellschaftlichen Schäden geführt hat als der eigentliche Anlass der Krise.

Es ist nicht schön, wenn auf jedwede Äußerung eines Verantwortungstragenden des Goetheanum direkt kritische oder gar zerreißende Kommentare von Anthroposophen oder Anthroposophinnen kommen, die genau zu wissen meinen, wie sich anthroposophische Würdenträger zu positionieren haben. Das ist mir bewusst. Aber dieses Interview war zu viel. Hier kann nicht mehr harmoniehütend geschwiegen werden! Die SPD steht für Gleichheit im Rechtsleben, die Grünen für Brüderlichkeit im klimafreundlich werdenden Wirtschaftsleben, die FDP vertritt das freie Geistesleben.

[…] Auch wenn man vermeiden will, deutliche Stellung zu beziehen zu dem, was derzeit in der Welt geschieht und was dazu geführt hat, dass Anthroposophinnen ohne G der Zutritt zu Goetheanum-Veranstaltungen verwehrt wird, muss man doch nicht die Dinge derart in ihr groteskes Gegenteil verkehren. Die drei genannten Parteien haben maßgeblich und verantwortlich daran mitgearbeitet, die Zustände der Generaldiskriminierung in Deutschland zu etablieren, die jetzt dort herrschen. Die Bemühungen Gerald Häfners, eine im Grunde gute Richtkraft aufzuspüren, die unterschwellig am Wirken sei, erwecken den Anschein einer falsch verstandenen Nebenübung.

Positivität zu üben heißt, hinzuschauen auf das, was wirklich ist (so der Wortsinn ‹positiv›). Es liegt hier keineswegs die Aufforderung vor, schönzureden, was katastrophal ist.

Wenn wir aus dem Mund des Leiters der Sozialwissenschaftlichen Sektion hören müssen, dass Deutschland, wo derzeit die Grundrechte der Bürger und Bürgerinnen mit Füßen getreten werden, wo bewusst die Unwahrheit gesagt wird (es gäbe dafür noch ein anderes Wort), «eine funktionierende Demokratie» sei, auf die das Ausland orientierungsuchend blicke, ist das ziemlich schwer zu verkraften.

«Ein Hund ist, wenn’s bellt.» – «Eine Demokratie ist’s, wenn gewählt wird.» – Leider liegen die Dinge nicht so einfach.

[…] Der unbestreitbar vorhandene gute Wille kann nicht entschuldigen, dass man sich verbiegt. Seit 100 Jahren wird am Goetheanum das Drama gespielt, in dem der Widergeist süffisant spricht: «Den Teufel merkt das Völkchen nie, und wenn er es beim Kragen hätte.» Nun: Wir merken den Teufel. Deutlich. Sprechen wir es aus.

Christine Engels


Die Dreigliederung gewählt?

Gerald Häfner hat jahrzehntelang bei den Grünen in führenden Positionen Politik mitgestaltet. Er wird aus seiner Sicht die heutige Lage und den Ausgang der Bundestagswahl sicher anders beurteilen als ich. Ein paar Gedanken möchte ich jedoch kritisch anmerken, denn meiner Meinung nach geht Gerald Häfner, freundlich gesagt, recht fantasievoll mit dem Begriff Dreigliederung um. Es ist also Rechtsleben, Wirtschaftsleben und Geistesleben gemeint. Die SPD repräsentiert nach Auffassung des Autors das Rechtsleben, weil sie sich mehr für soziale Gerechtigkeit einsetzt. Das heißt zum Beispiel bessere Löhne, wirtschaftliche Sicherheit und Altersversorgung. Da sind wir jedoch im Wirtschaftsleben. Die Grünen setzen sich dafür ein, geschwisterlich mit der Erde umzugehen, und stehen für globale Brüderlichkeit. Das mag so sein, ist aber sicher nur ein Teilbereich des Wirtschaftslebens. Verwerfungen der Weltwirtschaft und der globalen Finanzwelt, die Kluft zwischen Arm und Reich scheinen bei den Grünen ausgeklammert zu sein. Zumindest findet sich nichts davon im gemeinsamen Positionspapier zur Aufnahme der Koalitionsgespräche. Die FDP repräsentiert in Häfners Beitrag klassisch die Partei der Freiheit. Sie steht heute mehr denn je als die Partei für unbeschränkte Wirtschaftsfreiheit. Da merkt der Autor zumindest kritisch an, dass die FDP zurzeit eher eine rückwärtsgewandte Politik der 1990er-Jahre goutiert. Das heißt Förderung der Privatisierung, deregulierte Banken und Steuervorteile für Besserverdienende. Freiheit im Geistesleben sieht für mich anders aus. Freiheit der Forschung heißt zum Beispiel Unabhängigkeit von Wirtschaftsinteressen. Das heißt auch Therapiefreiheit und Zurücknahme der Privatisierung des Gesundheitswesens und derlei mehr. Insgesamt kann ich die Meinung von Gerald Häfner nicht teilen, es bestände die Chance, dass die drei Parteien in Richtung Dreigliederung steuern könnten.

Ernst U. Schultz

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