Mit diesem wundervollen Band erscheint der erste einer Grundlagenreihe zur anthroposophischen Kunsttherapie.
Die Autorinnen und Autoren geben den interessierten Verordnenden, den praktisch arbeitenden Therapeutinnen und auch interessierten Laien die theoretischen Grundlagen des Plastischen überhaupt und Hinweise zum praktischen Vorgehen. Ohne dass das Schlagwort Goetheanismus bemüht wird, fußt alles auf einer behutsamen, anschauenden Methodik. Dazu gehören die prägnant beschriebene menschenkundliche und künstlerische Basis und die Einführung in das Wesen des Plastischen überhaupt. Das bekannte Standbild der Venus von Milo wird so geschildert, dass es ein atmendes Gleichgewicht von aufbauenden Ätherkräften und abbauend-gestaltenden astralischen Wirkungen und somit ein Bild von Gesundheit repräsentiert. Die Laokoon-Gruppe erscheint demgegenüber als Ausdruck von Leid und eines an die Grenze des Todes führenden Wirkens des Astralischen. Wie gehen Menschen mit Formen um, wie mit Oberflächen? Wie lässt sich, wichtig für die Therapie, ein Gleichgewicht erreichen? Wie steht eine Form im Raum? Was besagt das? Ist das eine Geste des Empfangens oder eine Geste des aktiven Zugehens? Gibt es ein Gleichgewicht der Ungleichgewichte in einer komplexen Form? Welche innere seelische Geste stellt sich dabei dar? Wann bildet eine Form eine Ganzheit? Drückt sie eine Qualität von Wärme aus? Was bedeutet der Blickwinkel, unter dem eine geschaffene Plastik angesehen wird? Der Blick auf die Vorder- und Rückseite oder der auf Flanken kann ganz unterschiedlich wirken. Am Beispiel der Metamorphosen in den sieben Kapitellen des Ersten Goetheanum wird ein Schulungsweg beschrieben, der sofort – dazu gibt es wertvolle Querverweise – therapeutisch nutzbar wird.
Plastizieren ist Handeln
Im ganzen Buch leuchtet immer wieder durch, wie das Ich selbst zum Behandelnden, die Plastizierenden zu souveränen Persönlichkeiten werden können. Die Lesenden werden methodisch geführt und zugleich freigelassen. In Stufen und größtenteils durch Fotos veranschaulicht wird dargestellt, wie eine Plastik entsteht: Der Plastizierende wird als aktiv Handelnder erlebt, der produktive Kräfte freisetzt. So kann die Leserin oder der Leser in einem betrachtenden Prozess Zeugin oder Zeuge werden von der Kraft des Plastischen, die körperformend beim kleinen Kind und in jedem Menschen verändernd und gestaltend wirkt. Im plastischen Prozess werden Zukunftskräfte frei. Fallbeispiele zeigen, wie heilende Kräfte durch die plastische Gestaltung geweckt werden und zur Entwicklung führen. Ein Kunstgriff ist es, dass in die prägnanten Fotos Kraft- und Gestaltungslinien eingezeichnet sind, die den plastischen und therapeutischen Prozess für die Betrachtenden anschaulich machen, auch die verschiedenen Stufen des Weges. Dargestellt werden die Wege von onkologischen Patientinnen, psychiatrisch und neurologisch Erkrankten, auch von Sterbenden. Eindrucksvoll sind auch die Darstellungen einer Notfallintervention oder die Hilfe nach lange verschütteten traumatischen Ereignissen. Das Buch lebt vom Dialog zwischen den gestaltenden, plastisch arbeitenden Patienten und Patientinnen und dem Werkmaterial, meistens Ton. Alles wird durch die hervorragend bebilderten Kapitel anschaulich. Die entscheidende Botschaft ist es, wie das eigene Werk zum Spiegel der Selbsterkenntnis werden kann. Für Lesende wird das aus der Sicht der Erkrankten erlebbar.
Mit diesem Werk publiziert der Salumed-Verlag in Berlin einmal wieder ein Grundlagenwerk aus der Anthroposophischen Medizin und ihren Therapien, wissenschaftlich solide und künstlerisch in der Gestaltung. Therapeutinnen und Verordnende erhalten Erkenntnisse zu Wirksamkeit und bewährten Indikationen, was auch gegenüber Kostenträgern hilfreich ist, ebenso zu den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen. Besonders an diesem Buch ist die behutsame, lebendige und eingängige Sprache, die wie ein plastisches Kunstwerk im Prozess mitschwingt. Dieses Werk gibt den Qualitätsstandard für weitere Bände vor.
Buch Markus Sommer, Anne Sommer-Solheim, Karl-Hermann Lieberknecht (Hrsg.) Plastisch-Therapeutisches Gestalten. Theorie und Praxis einer Anthroposophischen Kunsttherapie, Salumed-Verlag Berlin 2023
Was für eine schöne Buchbesprechung, herzlichen Dank.
In den Abendvorträgen der sogenannten Weihnachtstagung erwähnt Dr. Steiner 1923 das plastisch-elastische Prinzip, das Prof. Beuys dann später zu einem Bestandteil seiner Lehre von der unsichtbaren Skulpur erhöhen wird.
Ohne Kunst und Kunstbetrachtung wäre die Welt um so vieles ärmer.
Das bedeutet aber nicht, man müsse arm sein, um Kunst und Kunstbetrachtung zu pflegen. Im Gegenteil. Wer ins Museum gehen will, der muss sich auch einen passablen Anzug, gute Lederschuhe und eine schöne Armbanduhr kaufen, man möchte ja nicht unangenehm auffallen.
Schöne Weihnachten! Möge der Geist Gottes uns erwarmen und durchchristen.