‹Parsifal› am Goetheanum

An Ostern wird erstmals am Goetheanum Wagners ‹Parsifal› aufgeführt. Ein Gespräch mit Alexander von Glenck, Produzent des Projektes. Die Fragen stellte Wolfgang Held.


Wolfgang Held: Wie kam es zu deiner Liebe zur Oper?

Alexander von Glenck Ja, als junger Mensch wollte ich Opernsänger werden. Ich wünschte mir, Sänger zu werden. Es war ein Mögen und kein Wollen: Ich wäre nicht bereit gewesen, alles dafür zu opfern. Natürlich ist es beim Gesang auch eine Frage der Begabung und dann kommt hinzu, dass man es mit jeder Faser seines Wesens wollen muss. Stattdessen habe ich dann Mathematik und Philosophie studiert. Und daraus wurde dann mein Beruf. Für Studierende in Mathematik gab es kostenfrei Computerkurse. So habe ich Programmieren gelernt und diese Fähigkeit war damals sehr gefragt. Meine Liebe zur Oper blieb natürlich erhalten.

Und jetzt machst du als Produzent ‹Parsifal› mit einem großen Team am Goetheanum möglich. Ich wundere mich, dass ein Werk, das so mit Anthroposophie zu tun hat, nie im größeren Stil den Weg ans Goetheanum gefunden hat.

Das hängt damit zusammen, dass Jan Stuten, ein enger Vertrauter von Marie und Rudolf Steiner, den ‹Parsifal› gerne aufgeführt hätte, Marie Steiner sich aber mit dem Hinweis, das Goetheanum sei das Haus des Wortes, dagegen ausgesprochen habe. Das kann ich nicht wörtlich belegen, habe aber Ähnliches noch bei meiner Mutter vernommen, als wir 2006 die ‹Zauberflöte› am Goetheanum inszenierten. Ihr gefiel die Aufführung, aber mit dem gleichen Verweis auf das ‹Haus des Wortes› hatte sie Bedenken. Dabei gehört zur Oper, dass die Musik so gesetzt ist, dass sie das Wort unterstützt. Und das ist insbesondere bei Richard Wagner der Fall. Es ist sogar so, dass, wenn man seine Texte ohne Musik liest oder spricht, sie ein schwer erträgliches Pathos haben. Mit der Musik empfindet man die Sprache dann als ganz natürlich.

Beim Bau des Orchestergrabens am Goetheanum warst du beteiligt. Das war der Grundstein zum ‹Parsifal›.

Ja. Von den mir bekannten Opern ist der ‹Parsifal› diejenige, die am deutlichsten ins Goetheanum passt, weil sie ein Mysterienspiel ist, weil das esoterische Christentum auf die Bühne gebracht wird. Und naja, ich meine, Rudolf Steiner hat sich dann breit auch zu ‹Parsifal›, zu Richard Wagner geäußert. Michael Kurz hat gezeigt, dass Steiner als junger Mensch mit Wagner nichts anfangen konnte. Später, als er in Weimar war, hat er dafür regelmäßig Wagner-Vorstellungen besucht, blieb aber dabei, dass Wagners Musik eigentlich unmusikalisch sei. Was immer das heißen mag.

Rudolf Steiner schätzte ja Richard Wagner, wenn er sagt: «Wagner, das ist nicht bloß Musik, sondern als ein tiefes Erkennen zu sehen für die moderne Menschheit. Er bringt das tiefe Geheimnis des Heiligen Grals.» Da ist immer von ‹tief› die Rede.

Das ist der Hintergrund meiner Idee, in die Inszenierung Eurythmie hereinzunehmen, weil die Musik schwer zum Reinhören ist. Das Wort ‹tief› trifft es. Sie wirkt unmittelbar, Wagners Musik, und erzeugt im Zuhörenden Stimmungen, egal ob ihm das bewusst wird oder nicht. Diese Musik wie in einer Oper von Mozart oder einer italienischen Oper aktiv zu hören, ist nicht so einfach. Die Toneurythmie kann da manches dieser Musik unterstützen beziehungsweise sichtbar machen.

Was bedeutet es, dass Wagner sich nicht freundlich über Wolfram von Eschenbach äußert, dieser aber in der Anthroposophie in der Waldorfschule eine solche Rolle spielt und gleichzeitig Steiner das gar kein Problem findet? Wie gehst du damit um?

Eschenbach lebte im Hochmittelalter, so um 1250, wo der Himmel sich schloss, und er spricht zu Menschen, die ein völlig anderes Bewusstsein haben als wir modernen Menschen. Jetzt sind wir im Zeitalter der Bewusstseinsseele, sind selbstverantwortlich. Da muss die Geschichte anders erzählt werden. Richard Wagner hat sich intensiv mit Wolfram von Eschenbach beschäftigt, hat auch Figuren übernommen bzw. dann welche zusammengeführt – Trevrizent und Gurnemanz in eine Figur und Cundrie und Orgeluse zu seiner Kundry. Ohne Kenntnis von Wolfram von Eschenbachs Dichtung hätte er seinen ‹Parsifal› nicht komponieren, nicht schreiben können. Tatsächlich fand er trivial, dass Amfortas geheilt wird, weil Parsifal ihn fragt, wie es ihm gehe. Er verfolgte das ‹Similie-Prinzip›: Die Wunde heilt, was sie schlug.

Was sind nun Fragen, die euch in der Inszenierung beschäftigen?

Die Liste ist lang. Zum Beispiel, dass der Speer, der wie Wagner vorschreibt, über dem Haupt von Parsifal zum Stehen kommen soll. Das ist schwer zu verstehen. Da liegen wir aber richtig, indem wir den Speer eurythmisch inszenieren. Was wir nicht wollen, ist die Taube, die Wagner erscheinen lässt. Da hat schon Rudolf Steiner darauf hingewiesen, dass Wagner hier die Inspirationen ausgegangen sind und es symbolisch wird. Und das geht natürlich nicht.

Alexander von Glenck. Foto: François Croissant

Und die Gestalt des Klingsor? Ist er eine schwarzmagische Kraft, die Wagner reinholt?

Es ist hier ganz so, wie Steiner die Widersachermächte schildert, dass es Wesen sind, die eine Entwicklung nicht korrekt mitgemacht haben. Das trifft auch auf Klingsor zu. Er möchte auch ein Gralsheiliger werden und das gelingt ihm so nicht. Um es zu beschleunigen, entmannt er sich, mit dem Effekt, dass er seelisch kein besserer Mensch geworden ist, aber sein Sehnen nicht mehr befriedigen kann. Er wird zum Antipoden, weil er die Entwicklung, die er hätte machen müssen, nicht korrekt durchlaufen hat. Er hat sich aber doch große Weisheit erworben, da er nämlich weiß, wie er Heerscharen manipulieren kann. Da erscheint noch ein Motiv, warum ‹Parsifal› ans Goetheanum gehört: Da ist von Reinkarnation und Karma die Rede – bei Kundry wird es explizit ausgesprochen.

Solch ein Werk ist zeitlos und doch dockt es an einer bestimmten Zeit an, die wir mit dem 21. Jahrhundert weit hinter uns gelassen haben. Was bedeutet das für dich?

Wagners Opern, auch der ‹Parsifal›, sind natürlich im 19. Jahrhundert zu Hause und spiegeln die europäische Überheblichkeit, besser zu sein als der Rest der Welt.

Wagner hat da ein zeitloses Drama geschaffen, und trotzdem wäre es mir lieber gewesen, ich wüsste von einem Dichter, einer Komponistin, der oder die die Geschichte des Grals fürs 21. Jahrhundert erzählt und vertont hätte. Aber ich kenne niemanden. So bleibt Wagners ‹Parsifal› die modernste Mysterienoper, die es gibt.

Wie müsste denn eine Gralsgeschichte unseres Jahrhunderts aussehen?

Wenn Parsifal im Schlussakt die Gralshüterschaft übernimmt, dann wird da eine Aufstellung gemacht, wie jetzt die Menschen miteinander sein sollen. Da wird ein zukünftiges Bild entworfen, wie wir Menschen gemeinschaftlich sein sollen. Da erklingt dann dieses merkwürdige «Erlösung des Erlösers». Da sind wir uns noch nicht einig, wie das zu verstehen ist. Ist Parsifal gemeint? Heute sollte eine Gemeinschaft eigentlich immer so zusammenkommen, dass sie auf denselben geistigen Inhalt schauen kann – natürlich von ihren verschiedenen Perspektiven aus. Man steht im Kreis und schaut gemeinsam auf ein Leuchten. Und da gilt, was die Gemeinschaft bildet: «Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter euch.» Das alte Grals-Königtum, das pyramidal ist, wird abgelöst durch die Gemeinschaft. So müsste man es heute schreiben. Das ist natürlich bei Wagner noch nicht so. Da wird Parsifal der nächste Gralskönig und es geht dann sogar dynastisch weiter, dann kommt Lohengrin.

Da ist vom christlichen Geist die Rede, der sich fortwährend vollzieht. Die Gralsgemeinschaft hat diesen Quell ja verloren, oder?

Ja, so wollen wir das auch inszenieren, dass, wenn im ersten Akt das Abendmahl zelebriert wird, es recht steif und brüchig erscheint.

Wagner nennt ‹Parsifal› ein Weihefestspiel. Was bedeutet das für uns heute?

Wagner selbst wollte ja, dass der ‹Parsifal› nur in Bayreuth gespielt wird, damit er nicht zwischen anderen frivolen Opern untergeht. Und das wurde auch durchgesetzt, so lange, bis es frei wurde. Dann passierte genau das: Die Inszenierungen verkehren sich ins Gegenteil dessen, was er gewollt hat. Das hat Steiner in einem Vortrag von 1906 auch schon gesagt, das Geniale am ‹Parsifal› ist die Musik, an einigen Stellen, wo er durchlässig genug war, er direkt aus der geistigen Welt inspiriert wurde. Das gilt insbesondere für den Karfreitagszauber.

Welche Rolle spielt die Eurythmie in der Inszenierung?

Der Gral, der Speer, die Taube als heiliger Geist, ja selbst die Gralsburg sind alles Dinge, die in der äußeren Welt nicht zu sehen sind. Deshalb antwortet Gurnemanz auf die Frage von Parsifal: «Was ist der Gral?» mit: «Das sagt sich nicht.» Und in der Gralsburg kommt dann das Wort «Zum Raum wird hier die Zeit» – eine Beschreibung des Geistigen. Da kommt überall die Eurythmie zum Zuge.

Warum polarisiert Wagner so? Man spricht von Wagnerianern, aber nicht von Brucknerianern.

Weil seine Musik vereinnahmt. Sie lässt nicht frei. Ja, das ist das Problematische dabei. Es bedeutet beim ‹Parsifal›, dass die Musik die Seele des Zuhörers, der Zuhörerin erreicht.

Wie erreicht man diejenigen, die Wagner ferner stehen?

Wir machen etwas, was man so noch nie gesehen hat. Dass Eurythmie von Anfang bis Ende überall dabei ist, das ist neu. Jasmin Solfaghari, unsere Regisseurin, und Walter Schützer, der Bühnen- und Kostümbildner, hatten beide keine Beziehung zur Anthroposophie. Walter Schütze hat dann aufgrund der Gespräche Kostüme gezeichnet und Stefan Hasler war begeistert. Das ist für mich eben auch eine neue Möglichkeit, dass man etwas ans Goetheanum bringt, was hineingehört und das Goetheanum befruchtet.

Diese Befruchtung soll dann jeweils an Ostern wiederkehrend sein?

Ja, natürlich wollen wir diese Inszenierung fortsetzen und gern die Mannheimer Tradition, ‹Parsifal› zu spielen, übernehmen.

Wo siehst du die größte Herausforderung?

Dass es uns gelingt, die Eurythmie mit dem Gesang und dem Bühnenbild zu verbinden.

Gibt es deinen Moment im ‹Parsifal›?

Wenn Gurnemanz und Parsifal zur Gralsburg schreiten. Und wenn Parsifal dann fragt: «Was ist der Gral?» und dann nach dem Hinweis: «Das sagt sich nicht.» dieses Wort kommt: «Zum Raum wird hier die Zeit.» Der Satz ist für mich ein Mysterium.

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