Neumutterland

Wenn von ‹Afrika› die Rede ist, dann wird nicht selten von ‹Mutter Afrika› oder ‹motherland› gesprochen, was dem ägyptischen Wort ‹Afru-ika› (Mutterland) entsprechen würde. Afrika: die Wiege der Menschheit. Mutterland, das heißt auch: in der Fülle sein, das Leben an sich als reich begreifen.


Seit mehr als fünf Millionen Jahren leben Menschen in diesem Teil der Erde. Den Gegensatz zwischen Mutterland und Vaterland finde ich interessant. Er macht mich aufmerksam für die Kräfte, die in Kulturen unterschiedlich wirken, aus denen unterschiedliche Bilder erwachsen. Ein Mutterland bewegt sich in mir anders als ein Vaterland. Für das Vaterland wird nach wie vor gestorben – für ein Mutterland könnte man vielleicht wieder leben lernen? Der europäische Blick auf die afrikanischen Länder schaut häufig hinab, ob es nun das anscheinend rückständige oder extrem verarmte Afrika ist, das man unterrichten oder dem man helfen müsse, oder das sehnsüchtig gesuchte Idyll, in dem die Zeit still stehe. Beides ist ein männlich-dominierter Blick. Man möchte entweder etwas verbessern, managen, nutzen oder genießen können, sich darin erholen vom eigenen Karussell, ohne etwas zu geben. Es entspricht unserer vaterländischen Tradition, unser Entkoppeltsein in jeder Hinsicht als Fortschritt und Objektivität zu begreifen und gleichzeitig als die einzig mögliche Zukunft für die ‹anderen› anzusehen. Wenn ich von Orten wie Kufunda in Simbabwe erfahre, leuchten mir andere Möglichkeiten entgegen. Etwas wird von Neuem möglich, das einmal als das Weibliche in der Kultur betrachtet wurde: das Lebendige, das Da-Sein, die Ruhe, das Nähren des anderen und der Kreis, in dem die Gemeinschaft mit dem Einzelnen wirkt. Und ich wünsche mir, dass etwas von dieser aufgeweckten Demut uns alle begeistert und einlädt, um wie Kinder in einem nur zu erahnenden größeren Mutterland zu werden.


Bild Kinder aus dem Lerndorf Kufunda in Simbabwe. Foto: Gilda Bartel, 2022.

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