Neues Leben in den Ateliers

Ester G. Mecías ist in Barcelona geboren und hat dort und in Boston Kunst studiert. Sie begründete die Künstlergruppe Les Salonnières mit, welche interdisziplinäre Projekte mit verschiedenen spezifischen Themen organisierte. Sie ist bildende Künstlerin und Forscherin sowie Mitglied der von Pilar Bonet geleiteten Visionary Women Research Group. Im Juni 2021 hat sie vier Wochen als Artist in Residence im neuen Atelier der Sektion für Schöne Künste am Goetheanum gearbeitet. Barbara Schnetzler sprach mit ihr.


Wie bist du zur Kunst gekommen? Und wie zum Goetheanum?

Ich stamme aus Barcelona und bin vor sechs Jahren wegen eines Kunstprojektes nach Kolumbien gegangen, wo ich das erste Mal von der Anthroposophie hörte durch Beziehungen zu Menschen, die in Waldorfschulen, in der Christengemeinschaft und in einem anthroposophischen Kulturzentrum waren. Ich hatte dort eine Freundin, die nach Dornach ging, um Eurythmie zu studieren. Nach vier Jahren in Kolumbien bin ich wieder zurück nach Spanien gegangen und besuchte meine Freundin in Dornach. Dort entschied ich mich spontan, Anthroposophie zu studieren. Der Kurs begann fünf Tage später.

Was waren deine ersten Eindrücke von Dornach?

Meine erste Assoziation war die Bauweise des Architekten Gaudí, der in Barcelona viel gebaut hat. Auch er hatte rechteckige Formen gemieden. Es war mir also nicht komplett neu. Mein Eindruck vom Goetheanum war ‹irgendwie vertraut›.

Wie hat dich der anthroposophische Kunstimpuls während deiner Zeit in Dornach beeinflusst? Hast du einen guten Überblick darüber erhalten?

Er beeinflusste mich sehr, aber ich wünschte mir, noch mehr zu machen und mehr zu verstehen von der Bedeutung der Künste. Es ist für mich ein großer Prozess, der erst begonnen hat. Ich habe Klarheit gewonnen über meine Art zu arbeiten, meine Mission, was ich geben möchte. Aber ich möchte mehr lernen.

Denkst du, der anthroposophische Kunstimpuls hat dich näher zu deinem eigenen Kern und deinen Motiven gebracht?

Als ich nach Kolumbien ging, hatte ich eine Krise in meiner Identität als Künstlerin, vor allem damit, wie es normalerweise im ‹Kunstgeschäft› läuft. Für mich ist die Hauptfrage, wie man schöpferisch tätig ist, wo die Wurzeln sind. Viele Jahre hatte ich nicht gemalt. Als ich hierher kam, begann wieder etwas. Ein Same, der lange schlafend war, erwachte hier wieder. Als mein Selbst mit der Wahrheit zusammenzuklingen anfing, begann auch wieder etwas zu wachsen. Fragen tauchten auf: Aus welchem Bewusstsein arbeite ich als Künstlerin? Wie schaffen wir aus den Themen, mit denen wir in Beziehung sind? Wir stehen in Verbindung mit geistigen Wesen. Darüber hatte ich vorher keine Klarheit, nur Ahnungen. Mit der Anthroposophie verstehe ich anders und besser, wie die Welt ist in ihrer Komplexität.

Du warst der erste Gast in unserer Residenz, in die wir Künstlerinnen und Künstler einladen wollen, um ihnen einen Raum zu bieten, zu forschen, zu arbeiten. Wie war das für dich?

Es war wunderbar, einen eigenen Arbeitsraum zu haben, Platz genug. Ich habe begonnen, mit kleinen Stücken zu arbeiten. Die hier liegen lassen zu können, am nächsten Tag wieder zu kommen, weiter zu entdecken. Ich konnte expandieren in dem Raum und in der Zeit, in der ich hier war.

Was ist dein Hauptmotiv für dein Hiersein?

Nach eineinhalb Jahren meines Hierseins in Dornach fühle ich, dass ich viele neue Samen in mir trage. Ich brauche einen Platz, um mich ausbreiten zu können. Ich bin hier auch sehr inspiriert, weil alles so groß und frei ist. Ich kann mich anders konzentrieren. Es ist für mich ein Privileg, dass ich weiter schaffen kann, kreieren kann. Es ist für mich sehr wichtig gewesen, an diesem Ort arbeiten zu können, wo man die Gedanken der Anthroposophie hat, und gleichzeitig selbst schöpferisch zu sein. Das kann ich anderen Kunstschaffenden sehr empfehlen.

Du wirst eine Ausstellung deiner Arbeiten im kommenden April im Goetheanum zeigen. Worum geht es?

Die Ausstellung wird vom 24. April bis zum 8. Mai am Goetheanum zu sehen sein. Installationsartig werde ich Skulpturen und Fotografien zeigen, die die Besuchenden einladen, sich mit dem Thema Masken und Sprache zu verbinden. Sie ist der Auftakt zu meiner weiteren Arbeit zum Thema ‹Das verlorene Wort›.

Hat dich auch Corona zu diesem Projekt inspiriert?

Die Idee hatte ich schon davor, aber ich finde es sehr spannend, dass es jetzt so zusammenkommt mit dem Zeitgeschehen. Wir stehen in Verbindung mit geistigem Geschehen. Ich habe auch darüber nachgedacht, was die Bedeutung der Maske ist. In meinem Fall ist sie nicht da, um etwas von einer Person zu verbergen, sondern um etwas von ihr zu zeigen. Aber im Falle von Corona ist es anders herum: Du siehst nicht die Lippen, den Mund. Was passiert, wenn wir kristallisieren, wenn wir einen sonst sichtbaren, ausdrucksstarken Teil von uns nicht sehen? Was ist die Absicht davon? Unsere Stimme baut sich auf, aber mit der Maske geht sie gar nicht wirklich hinaus. Sie klingt nicht mehr. Was ist unsere Beziehung zu diesem Phänomen? Ich würde gern in Zukunft damit mehr arbeiten, mit der Stimme und wie sie kreiert wird. Johanna F. Zinke hat damit schon in ihrem Projekt ‹Luftlautformen sichtbar gemacht› gearbeitet. Auch Serge Maintier mit dem Werk ‹Speech – Invisible Creation in the Air: Vortices and the Enigma of Speech Sounds›. Und Margaret Watts Hughes (1842–1907), eine Opernsängerin, Liedermacherin, Forscherin und Philanthropin, kreierte mit ihrer Stimme Formen. In Zukunft möchte ich gern mit den Vibrationen von Tönen und der Stimme experimentieren. Im Moment arbeite ich als Bildhauerin, mit Bienenwachs, was ein sehr spezielles Material ist. Es ist mit Liebe gemacht, was vielleicht mit den Betrachtenden resonieren kann. Die Impulse würde ich gern in die Welt bringen.

Welche Impulse sind dir in Dornach gekommen?

Die Kunst ist in der Anthroposophie ein sehr wichtiges Thema. Das ist ein Same, der mir hier klar geworden ist. Diese Kunst, die mit dem Bewusstsein der geistigen Welt entsteht, ist notwendig für die Zukunft.


Infos

Seit dem 1. Juli 2021 können professionell arbeitende Künstler und Künstlerinnen am Goetheanum für mindestens drei Wochen einen Atelierraum beziehen. Die Kunstateliers im Norden der Schreinerei wurden aufgefrischt und bieten einen inspirierenden Ort für kreatives und forschendes Schaffen.

Mehr Informationen und Anmeldung unter: Kunstateliers der Sektion für Bildende Künste

Bilder: Ester G. Mecías im Atelierraum der Schreinerei

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